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Mit Stroboskop und Goldkette

BANG BANG Der eine knüppelt wie verrückt, die andern suchen die richtigen Knöpfe: Konzert von Tussle und Publicist im Bang Bang Club

Irgendwann wird Publicist heiß, er zieht sein T-Shirt aus und zeigt sein Sixpack

Was sie machen, ist perfekte Autobahnmusik. Musik zum Beklopfen der Karosserie, während man entspannt bei heruntergelassenem Fenster am Steuer sitzt. Musik für den rasanten und gleichzeitig kontemplativen Fahrspaß. Elektronische, kreisende, repetitive Musik. Musik ohne Worte.

Das Problem beim Konzert am Montagabend war nur: Der Bang Bang Club ist nicht die A 1, und Tussle, die Band aus San Francisco, um die es hier geht, waren zu oft mit Zwischenstücken, Gefrickel und der Suche nach dem Sound beschäftigt. Dazu kam, dass Krankheit und der anstehende Geburtstag der Ehefrau das Trio nachhaltig beschäftigte. Außerdem konnte man nicht gerade von Stoßverkehr sprechen an diesem Montag, der Bang Bang Club war noch sehr geräumig.

Was schade war. Tussle hatten den Abend mit einem einschlagend hypnotischen Stück begonnen. In manchen Momenten klang das Trio wie Air mal hätten klingen sollen. In anderen allerdings klang die Musik wie weggerutscht: Plötzlich wirkte der Basslauf wie zufällig dahergezupft, hingejammt, der Mann hinter den Tastengeräten suchte nach den richtigen Knöpfen und der Schlagzeuger war aus dem Takt. Selbst die zu dieser Art Musik gehörenden Videoprojektionen im Hintergrund wirkten schüchtern.

Es war bestimmt nicht das beste Konzert der Band aus Kalifornien. Vielleicht sollte man sich eine ihrer drei LPs oder etlichen Singles und EPs zulegen, die sie seit Anfang des Jahrtausends auf allerlei obskuren und kleinen Labels herausbringen. Letzte LP hieß „Cream Cuts“, und, das für die Referenzjäger, Hot Chip stehen bei Tussle ganz oben in der Freundesliste. Auf Tussle selbst warten dieser Tage noch ganz andere Herausforderung als dieses Konzert in Berlin-Mitte, vor mehrheitlich aus dem Süden der Stadt angereisten Exilamerikanern und Liebhabern von Postrock und Frickelmusik. Als nächstes geht es nämlich auf Skandinavientour.

Zum Glück gab es auch eine Vorband. Die Vorband bestand aus einem Schlagzeuger. Dieser Schlagzeuger ist hauptberuflich mit der bekannten Elektronik- und Krautrockexperimentalband Trans Am aus Maryland unterwegs, nennt sich als Solist aber „Publicist“, obwohl er mit bürgerlichem Namen Sebastian Thomson heißt. Sein Soloprogramm sieht in etwa wie folgt aus: Er stellt seine Kiste ins Stroboskoplicht, lässt Elektrofunk aus der Dose laufen, trommelt wie irre, nämlich hoch präzise und gleichsam knüppelhart die Beats dazu und sprechsingt dabei in ein Mikrofon, das mit einem Vocoder verbunden ist. Irgendwann wird ihm heiß und euphorisch, also zieht er sein T-Shirt aus und zeigt sein Sixpack. Nur seine überfette goldene Halskette lässt er an.

In einigen Stücken klang Tussle wie weggerutscht, der Basslauf wie zufällig gezupft

Klingen tut das Ganze dann irgendwie nach „Axel F“ von Harold Faltermeyer oder der obskuren E-Funk-Band Zapp („Computer Love“, sic!). Also nach der ironischen Bearbeitung von frühzeitlicher Bodybuildingmusik in Zeiten von VHS, Modulwechseln und E.T. Die mit Vocoderstimme vorgetragenen Texte sind meist zu vernachlässigen, kurze Statements, die ohne Anfrage stückgerecht wiederholt werden („I want to play with your dog“). Oder ins Lustige weitergedreht („I want to play with your balls“). Dazu baut Thomson immer wieder Schlagzeugsoli in die Instrumentalpassagen ein, steigert sich, nimmt mal das Tempo raus, um mit dem nächsten Refrain wieder anzuziehen. Ganz so also, wie man es auch von so manchen Trans-Am-Stücken kennt. Nicht schlecht also, irgendwie bizarr, manchmal auch mitreißend. Und vor allen Dingen, was Thomsons Schlagzeugspiel betrifft, ziemlich beeindruckend. An seine Mutterband, der größten aller Autobahnbands, kommt Publicist allerdings auch nicht heran.

RENÉ HAMANN

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