Bollywood mit Tirolerhut

Auf Deutsch trüge „Dilwale Dulhania Le Jayene“ von Aditya Chopra den Titel „Der Mutige bekommt die Braut“

Selbst wer nicht beim Dackelblick von Superstar Shahrukh Khan dahinschmilzt bewundert doch das Funktionieren der Kitschmaschine

Nie wurde Interrail so gepriesen und besungen: Die einen Monat lange Bahnreise von acht indischen Teenagern durch Europa wird in der indischen Megaschnulze „Dilwale Dulhania Le Javene“ (was sich nur annähernd in „Der Mutige bekommt die Braut“ übersetzten lässt) als eine Ferientour im Paradies inszeniert, bei der selbst ein versäumter Zug die Glückseligkeit verheißt.

Dass die Fahrt nur von London in die Schweiz geht, und die Zwischenstation Paris zudem eine reine, in den Studios von Bollywood errichtete, Kulissenstadt ist, stört dabei kaum, denn der Trafalgar Square und die schneebedeckten Alpen gehören zu den beliebtesten Fluchtpunkten der Imagination von indischen Kinogängern. Für uns ist es nun wiederum faszinierend, wie das uns Vertraute und oft eher Banale so mit Emotionen aufgeladen werden kann. Während der Rest des Films aus genauestens komponierten Einstellungen besteht, in denen der Punjab wie eine Traumlandschaft dargestellt wird, sind die europäischen Bilder oft von einer fast dokumentarischen Schlichtheit. Da reicht es offensichtlich, ein junges Paar durch eine ganz normale Geschäftsstraße spazieren zu lassen, und wie das graue Regenwetter dabei auf die Kinobesucher in der Wüste von Rajastan wirkt, kann hier nur vermutet werden. Kuhglocke und Tirolerhut sind die mit Stolz getragenen Insignien der glücklichen Reisenden, denen im gelbleuchtenden Rapsfeld natürlich auch die Liebe widerfährt, für die sie in der zweiten Hälfte des Films im eigenen Land kämpfen müssen, das nun für unsere Augen ebenso exotisch wirkt wie ein kleiner Dorfbahnhof im Engadin für das indische Publikum. Diese beiden einander spiegelnden Wahrnehmungen machen einen Film wie diesen für unsere Augen so interessant.

Die Geschichte, die der Regisseur Aditya Chopra hier erzählt, ist extrem schlicht, und dennoch war diese 1995 gedrehte Studioproduktion für einige Jahre nicht nur der erfolgreichste indische Film aller Zeiten, sondern mit 192 Minuten auch der längste. Der junge Held Raj ist ein verwöhnter, in Europa aufgewachsener Millionärssohn, der auf der Zugreise mit seinen Freunden auf die schöne Simran trifft, die vor ihrer von den strengen Eltern arrangierten Hochzeit noch einmal zusammen mit ihren Freundinnen unbeschwerte Ferien erleben will. Sie verabscheut ihn bei ihrem ersten Zusammentreffen so leidenschaftlich, dass daraus nur die große Liebe werden kann, doch beide müssen erst zurück in den Punjab, um dort gegen den lüsternen Bräutigam und den erzkonservativen Brautvater für ihre Liebe zu kämpfen.

Auch wenn man den dramaturgischen Bogen nach fünf Minuten erkannt hat, und danach recht genau vorhersagen kann, was im nächsten Akt passieren wird, wird einem in den über drei Stunden nicht langweilig. Denn selbst wenn man nicht wie die vielen Millionen begeisterten einheimischen ZuschauerInnen beim Dackelblick des indischen Superstars Shahrukh Khan oder dem frechen Hüftschwung seiner Partnerin Kajol (mit der er dann in „Khabi Kushi Khabi Gham“ noch erfolgreicher poussierte) dahinschmilzt, ist es doch interessant zu sehen, wie perfekt solch eine Kitschmaschine laufen kann. Da wird jede Szene bis zur letzten Träne gemolken, da werden die Augen voller Wut weit aufgerissen, da wird eine eher harmlose Backpfeife akustisch mit dem lauten Knallen eines Peitschenhiebs verstärkt und auf jedem Bahnhof muss natürlich hochdramatisch hinter dem wegfahrenden Zug hergerannt werden.

All das wird durch die obligatorischen Tanznummern unterbrochen, bei denen, wenn sie in der Schweiz gedreht wurden, auch schon mal verwunderte Passanten im Hintergrund zu sehen sind. Da wundert es auch nicht, wenn eine sterbende Taube sich durch den eingeriebenen Staub der Heimat wieder in die Lüfte erhebt. Wilfried Hippen