Kein Recht auf Bildung

In Hamburg fanden 60 Flüchtlinge einen Ausbildungsplatz, aber Tausende gehen im Norden leer aus. Agentur für Arbeit und Beschäftigungsträger plädieren für Integrationskonzepte

Von Marco Carini
und Silke Bigalke

„Wir ahnten nicht, dass es solche Probleme geben würde“, erinnert sich Ernst Wierutsch, Marketingleiter der Drogerie-Kette Budnikowsky. Als das Hamburger Traditionsunternehmen Mire Sinanay nach erfolgreichem Bewerbungsgespräch einen Ausbildungsplatz anbot, erfuhr das Unternehmen von den Behörden, dass es auf die Dienste von Sinanay leider verzichten müsse.

Der Grund: Die aus dem Kosovo stammende junge Frau lebt zwar seit mittlerweile 14 Jahren in Hamburg, verfügte aber zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und damit über keine Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis. Erst nachdem Budnikowsky mithalf, die Härtefallkommission einzuschalten, stand Sinanays Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau nichts mehr im Wege.

Der Lehrvertrag für die 16-jährige Kosovarin ist ein Einzelfall. Allein in Hamburg sind rund 16.000 Flüchtlinge, die über kein dauerhaftes Bleiberecht verfügen, vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nahezu ausgeschlossen. Haupthindernis ist die so genannte Vorrangsprüfung, nachder ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz nur von einem Flüchtling besetzt werden kann, wenn sich kein deutscher oder ein aus einem EU-Land stammender Bewerber findet.

Von dieser Prüfung kann nur abgesehen werden, wenn sich ein Betrieb bereit erklärt, zusätzliche Ausbildungsplätze für die Bewerber mit ungesichertem Aufenthaltsstatus zur Verfügung zu stellen. Das vom europäischen Sozialfonds finanzierte bundesweite Projekt „Equal – berufliche Qualifizierung für Flüchtlinge“ vermittelt dabei zwischen Flüchtlingen, Betrieben und der Agentur für Arbeit. Die Equal-Koordinatorin für Hamburg, Maren Gag, betont, ihr Netzwerk brauche „in jedem Einzelfall einen langen Atem“, um Asylbewerbern und Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz oder auch nur eine weiterqualifizierende Maßnahme zu besorgen. Wie kaum sonst in der Europäischen Union würden Flüchtlinge in Deutschland nicht nur „ausgegrenzt, sondern auch gesetzlich diskriminiert“.

Trotz aller bürokratischen Hürden gelang es Equal in Hamburg bislang, 60 ehemaligen Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz zu besorgen. „Ein Tropfen auf dem heißen Stein“, wie Maren Gag betont. Allein in Hamburg benötigen rund 3.200 minderjährige Heranwachsende ohne dauerhaftes Bleiberecht nach ihrer Schulausbildung einen Ausbildungsplatz.

Ein weiteres Problem: Das vom Bundesarbeitsministerium und dem Hamburger Senat mitfinanzierte Projekt läuft Ende 2007 aus. Gelingt es bis dahin nicht, bundesweit eine Ausbildungsregelung für Flüchtlinge und Asylsuchende zu finden, bleiben sie vom Berufsleben weiterhin ausgeschlossen.

Rolf Steil, Geschäftsführer der Hamburger Agentur für Arbeit, hofft deswegen, dass sich die Berliner Koalitionspartner noch in diesem Jahr auf ein Integrationskonzept einigen, das zumindest den Menschen, die schon lange hier leben und über einen Schulabschluss verfügen, die Tür zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt öffnet. Marion Gag erwartet von einem solchen Konzept, dass es endlich auch für Flüchtlinge ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Regelung findet.

Zwar bastelt der Hamburger Senat, der in einem 1.000–Plätze–Sonderausbildungsprogramm die Gruppe der Jugendlichen mit Duldungsstatus erstmals überhaupt erwähnt hat, an einem Integrationsplan, der die Grundlagen des Zusammenlebens von Hamburgern mit und ohne Migrationshintergrund regeln soll. Gag fürchtet aber, dass dieser sich allein um die Belange der Migranten mit Aufenthaltsgenehmigung kümmert.

In Schleswig-Holstein, wo bereits seit 2002 ein solches Integrationskonzept existiert, ist genau das passiert. Hier durften zwar, im Gegensatz zu Hamburg, Flüchtlingsinitiativen und Migrantenorganisationen ihre Ideen für das Integrationskonzept einbringen. Genützt hat es den Flüchtlingen jedoch nichts, sagt Martin Link, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Flüchtlingsrates und Equal-Mitarbeiter in Kiel. Für die 9.000 Geduldeten und Asylbewerber des Bundeslandes gibt es immer noch keine arbeitsrechtliche Regelung. „Die Hälfte der Flüchtlinge, die bei uns weitergebildet wurden, haben Beschäftigungsangebote bekommen, die sie aber wegen des fehlenden Aufenthaltsstatus nicht annehmen durften.“ Eine Vermittlung von Auszubildenden ohne Aufenthaltsgenehmigung an Betriebe sei außerdem in Schleswig-Holstein wegen der schlechten ökonomischen Situation noch schwieriger als in Hamburg.

Auch in Niedersachsen, wo nach Schätzung des Flüchtlingsrats die Hälfte der 22.000 geduldeten Ausländer unter 18 Jahre alt sind, haben die Betroffenen wenig Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Für Equal kümmert sich dort Sigmar Waldbrecht um die Beratung der Ausbildungssuchenden und hilft ihnen, wenn es zur Vorrangsprüfung durch die Arbeitsagentur kommt. „Die Mehrheit von ihnen findet so keinen Ausbildungsplatz“, sagt er. „Geduldete sind nicht die Zielgruppe der Integrationspolitik.“