Europa zurück zur Natur

In Greifswald debattieren 350 internationale Wissenschaftler über Renaturierung als Chance

AUS GREIFSWALD DIRK BÖTTCHER

Bloß noch 30 Prozent der heute in Europa genutzten Agrarflächen werden in 50 Jahren noch von Bauern bewirtschaftet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die auf der Europäischen Renaturierungskonferenz in Greifswald vorgestellt wurde. Bis zum Freitag diskutieren 350 internationale Experten, was aus den entstehenden 70 Prozent Brache wird. Es geht um Renaturierung, um Wiederherstellung von Ökosystemen in Europa.

„Die globale Krise bietet Chancen“, erklärte Eröffnungsredner Michael Succow. Der Greifswalder Professor hat solche Chancen immer wieder klug zu nutzen vermocht: Nach dem Zusammenbruch der DDR-Landwirtschaft gelang es ihm, ein Zehntel der DDR unter Naturschutz zu stellen. Allein in Mecklenburg-Vorpommern kostete die Transformation vom Sozialismus zur Marktwirtschaft 100.000 Landwirten den Job. Weite Flächen fanden keine Verwendung mehr.

Das hat ein europaweit einmaliges Programm geändert: Teile dieses Landes wurden so „vernässt“, dass Moore entstehen, in denen sich Adler ansiedelten. Es gibt dort jetzt Bäume, die mit den Füßen im Wasser wachsen und besseres Holz liefern als die Grundwasser saufenden Kiefern. Ausgiebige Schilfgürtel liefern zudem massenhaft Material für Biogasanlagen. Die Moore binden Kohlenstoff, revitalisieren die biologische Vielfalt und sind Touristenattraktionen. 4,5 Prozent der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns stehen unter Schutz. Die Hälfte der nationalen Bestände der Adler, Schwarzstörche, Kraniche, Fischotter oder Biber siedelt hier. Die Zahl der Ökobauern liegt doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. 30 Prozent der elektrischen Energie wird alternativ gewonnen.

Allerdings: Ökologischer Reichtum hat nach wie vor keinen ökonomischen Gegenwert. Die Umrechnung ökologischer Leistungen in Geldwerte ist daher eine der Hauptforderung der Konferenz. „In einer ökonomisierten Gesellschaft muss Ökologie monetarisiert werden. Das ist existenziell für die Menschheit“, erklärte Succow.

Eine Lösung könnte ein ökologischer Finanzausgleich zwischen Bundesländern mit vielen Naturparks sein und denen mit wenigen. Ein anderer Vorschlag lautet: Konventionelle Landwirte sollen die Kosten tragen, die sie durch Grundwasserverbrauch oder -verschmutzung verursachen. Rudy van Diggelen von der Universität Groningen forderte eine Abschaffung von Agrarsubventionen wie Flächenstilllegungsprämien oder Grünlandprämien. Diese verpflichten die Bauern, die Flächen nicht vollständig der Natur zu überlassen. „Das verhindert, dass sich zerstörte Ökosysteme erholen.“

Morgen will die Konferenz zur ökologischen Renaturierung solche Forderungen in einer „Greifswalder Erklärung“ verankern. Sie könnte das letzte große Werk des Michael Succow werden: Der für seine Naturschutzarbeit mit dem Alternativen Nobelpreis geehrte Biologe will sich danach zur Ruhe setzen.

www.uni-greifswald.de/SER2006/goal.html