Nowitzkis Explosion

Deutschland gewinnt das letzte Gruppenspiel bei der Basketball-WM gegen Angola und trifft nun auf Nigeria

HIROSCHIMA taz ■ In den Katakomben der „Grünen Arena“ deutete nur Ingo Weiss darauf hin, dass im letzten WM-Vorrundenspiel der Gruppe B zwischen Deutschland und Angola etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste. Nervös tippelte der Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB) durch die schwülen Gänge und wartete darauf, endlich gefragt zu werden. In den ersten vier Monaten seiner Amtszeit hatte er noch nicht viele Gelegenheiten gehabt, Großartiges, eine Sensation gar zu verkünden. Der 109:103-Sieg (33:30, 69:69, 83:83, 95:95) über Angola, der erst nach der dritten Verlängerung feststand, wäre so ein Anlass gewesen. Doch für den DBB-Chef interessierte sich niemand nach dieser „einmaligen Leistung“.

Auch Dirk Bauermann, der das gesagt hatte, stand zum Abschluss der Vorrunde in Hiroschima einmal nicht im Fokus. Seine Mannschaft hatte zwar bestimmt kein perfektes Spiel geliefert, auf eine intensive Fehleranalyse wollte der Bundestrainer dennoch verzichten: „Was zählt, sind der Charakter und die Leidenschaft.“ Und Dirk Nowitzki. Um den drehte sich nämlich alles. Mit 47 Punkten, 16 Rebounds und einer perfekte Freiwurfquote (17/17) hatte Nowitzki sein Team geführt; erst sein Dreipunktewurf mit Ablauf der Spieluhr sicherte die zweite Verlängerung. Ohne Nowitzki hätten Sven Schultze und Demond Greene gegen Angola verloren. Fragt man die Nationalspieler nach ihrer Meinung zum Auftritt ihres Teamkollegen, sagen sie Sachen wie: „Das ist normal – sein Knoten ist geplatzt“ (Schultze). Oder Greene: „Das ist seine Stärke, das hat er einfach drauf.“ Die Anzeichen einer Sensation waren nicht leicht zu finden – und Ingo Weiss wollte man nicht fragen.

Denn es war Nowitzki selbst, der eine Sensation zu verhindern schien: 19,2 Punkte hatte er in den vier vorangegangenen Spielen durchschnittlich erzielt. Müde und ausgelaugt hatte er dabei gewirkt. „Wie einer, der gerade zu viel gegessen hat.“ So beschrieb Trainer Bauermann den Zustand seines Stars, der weder trainiert noch regeneriert bei WM antrat. Offiziell wollte sich niemand im Team Sorgen um ihn machen, doch die Erleichterung nach dem Sieg über Angola ließ erkennen, wie sehr die Mannschaft auf einen außerordentliche Leistung ihres Anführers gewartet hatte. „Das wird uns viel Selbstbewusstsein geben“, hofft Schultze. „Wir haben dieses Spiel gebraucht, um aufzuwachen“, sagt Bauermann. „Man kann die Erwartung haben, dass dies eine Initialzündung sein kann.“

Vielleicht war es ja die Erinnerung an den letzten Sommer in Vrsac, die alle so ruhig erscheinen ließ. Damals hatte sich die deutsche Mannschaft bis zum letzten Gruppenspiel gegen Russland durch die EM gequält. „Das haben wir dann mit einem Punkt gewonnen“, erinnert sich Nowitzki. „Das hat uns so gepusht, dass wir ins Finale kamen. Ich hoffe, dass dieser Sieg denselben Effekt hat.“ In Belgrad wurde die Mannschaft Zweiter und Nowitzki zum wertvollsten Spieler gewählt. Die 47 Punkte gegen Angola sind allerdings auch für ihn ein Rekord – so viel erzielte er im Nationaltrikot noch nie. Seit 1950 kamen bei einer Weltmeisterschaft nur vier Spieler auf einen höheren Wert. Freilich nicht in der dreifachen Verlängerung – denn die ist ein historisches WM-Novum. „Die Mannschaft hat nie aufgegeben“, sagt Nowitzki. Als man in der zweiten Verlängerung einmal mit vier Punkten zurück lag, wäre das „ja leicht gewesen. Aber wir haben zusammengehalten. Dieser Sieg hat uns als Mannschaft noch mehr zusammengebracht.“

Den nachhaltigen Effekt der Nowitzki-Gala wird man allerdings erst am kommenden Sonntag in Saitama beobachten können. Als Zweiter der Gruppe B trifft Deutschland im Achtelfinale auf Nigeria, den Dritten der Gruppe A. Für den in Lagos geborenen Ademola Okulaja, der laut Nowitzki endlich „so gespielt hat, wie wir uns das erhoffen“, wird das ein besonderes Spiel. Im Alter von drei Jahren verließ er mit seiner Mutter und seinem Bruder Afrika in Richtung Berlin. Seitdem war er nie wieder dort. Trotzdem erwartet er einen „besonderen Kick. Ich weiß nur noch nicht, welche Richtung“.

Ingo Weiss konnte man dazu auch nicht befragen: Als die Paarung feststand, war der DBB-Präsident den Katakomben längst entschwunden. MARTIN FÜNKELE