MARTIN REICHERT WURST IST MEIN GEMÜSE
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Es gibt eine Wurst, die erst so richtig zum Genuss wird, wenn man sie auf gut wienerisch betitelt. Offiziell wird diese leicht geräucherte Brühwurst als Käsekrainer bezeichnet. Ist man aber in Wien auf dem „Naschmarkt“ oder landet gar nach einem durchzechten Abend an einer der traditionellen Würstelbuden, dann bestellt man: eine Eitrige.

Die dem Morbiden doch zugeneigten Bewohner der österreichischen Kapitale beziehen sich hierbei auf eine zentrale Zutat der Wurst, die in der Regel erst beim kräftigen Hineinbeißen sichtbar wird beziehungsweise einem direkt siedend heiß ins Gesicht spritzt, nämlich den im groben Schweinefleisch-Wurstbrät enthaltenen Käse, der – ganz egal ob die Wurst nun gekocht, gebraten oder gegrillt wird – schmilzt und aus der Wurst quillt. Zehn bis zwanzig Prozent gewürfelter Käse, zum Beispiel Emmentaler sind es, die da gelblich fließen. Eitrig eben.

Pervers? Keineswegs. Mit Brot und etwas Senf oder „Kren“ (Meerrettich) gereicht ist diese kräftig gewürzte Variante der „Krainer Wurst“ ein Labsal für Menschen, die ihre Magenwände beruhigen müssen – leider sind sie in Deutschland meist nicht an Imbissständen erhältlich, sondern lediglich in spezialisierten Fleischereien oder auch ganz profan im Supermarkt an der Kühltheke.

Erfunden wurde das Fettwunder um 1971 in Oberösterreich, also kurz vor Erscheinen der Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ und noch vor der ersten Ölkrise. Im Vergleich zum Ösi-Snack „Berner Würstel“, der mit Bern gar nichts zu tun hat, ist die Eitrige jedoch geradezu bescheiden – besteht doch Ersteres aus einer aufgeschlitzten Wiener (in Österreich: Frankfurter), die mit Käse gefüllt und mit Räucherspeck ummantelt wird.

Abwechselnd besprechen wir an dieser Stelle Würste und bedienen uns aus der winterlichen Gemüsekiste