DIE ERSTEN FAHRRADKURIERE IM LIBANON
: Immer deghri!

VON RAPHAEL THELEN

Es knirscht auf Beiruts größter Einkaufsstraße im Stadtteil Hamra. Ein tannengrünes 1976er Mercedes-Taxi steht hinter Wissam Obaji auf dem Pflaster. Eingekeilt in den Verkehr, nebelt das Taxi die Passanten mit Dieselschwaden zu. Der Fahrer eines schwarzen SUV drückt hilflos auf die Hupe – ein Kleinlaster versperrt zwei der drei Spuren.

Obaji lacht über das Chaos. In enger schwarzer Sporthose und Trikot steht er neben seinem Fahrrad und haut auf den Sattel: „Ich brauche von hier quer durch die Stadt eine halbe Stunde. Bei dem Verkehr braucht ein Auto dreimal so lange“, sagt der 24-Jährige.

„Deghri-Messenger“ steht auf seinem Trikot. „Deghri“ ist Arabisch für direkt oder geradeaus. Obaji ist einer der ersten Fahrradkuriere Beiruts und sichtlich zufrieden damit. „Ich bin immer schon gerne Fahrrad gefahren“, sagt er.

Damit ist er im Libanon eine Ausnahme. Wer kann, fährt Auto und am liebsten ein großes. Vor allem zu Stoßzeiten werden die Hauptverkehrsadern zu Parkplätzen.

Als Fahrradfahrer nimmt Obaji das sportlich. „Ich liebe es, mich durch die Autoreihen zu schlängeln“, sagt er. Dass er damit einmal Geld verdienen würde, hätte er nicht erwartet. Er war gerade privat unterwegs, als ein anderer Deghri-Messenger ihn ansprach und fragte, ob er Fahrradkurier werden wolle.

Den Kurierdienst haben Matt Saunders und sein Partner Karim Sokhn im September 2013 gegründet. Der 26-jährige Saunders sitzt in einem Gemeinschaftsbüro mit Blick auf Hamras Einkaufsstraße. Hinter ihm eine Straßenkarte Beiruts an der Wand. Vor ihm auf dem Tisch ein Laptop und zwei Telefone, viel mehr braucht es nicht. „Die Idee hatten schon andere“, sagt Saunders. „Aber ihnen fehlte einfach das Know-How.“

Saunders, ursprünglich aus einer britischen Kleinstadt, fuhr zuerst in Zürich Obst und Gemüse aus, bevor er Fahrradkurier wurde und auch die Managementseite kennenlernte. In Beirut angekommen, erkannte er die sich bietende Chance. Beirut hat einen riesigen Dienstleistungssektor. Außerdem strömen Nichtregierungsorganisationen ins Land. Oft müssen ein paar Dokumente oder eine Festplatte schnellstmöglich von einem Büro ins andere gebracht werden. Autokuriere können das nicht verlässlich bieten. Die Deghri-Messenger schon.

Sein Partner Karim Sokhn ist Gründer von Cycling Circle, einer Gruppe von Fahrradenthusiasten, die Libanonrundfahrten organisieren oder Beirut bei Nacht erkunden. Einmal im Monat treffen sich 80 bis 100 Leute zur „Critical Mass“ und versuchen, Beiruts Straßen für die Fahrradfahrer zu erobern. Bis es so weit ist, hoffen er und die anderen Deghri-Messenger, dass Fahrrad fahren einfach ein bisschen normaler wird.