Nicht ohne Bundesrat

GUTACHTEN Änderung des Atomgesetzes durch Regierung bedarf doch Zustimmung der Länder

BERLIN taz | Dürfen die das denn? Das ist derzeit die spannendste Frage in der deutschen Energiepolitik. Die Bundesregierung will die Laufzeiten über zwei Änderungen des aktuellen Atomgesetzes erreichen. Die eine Änderung betrifft die Laufzeit selbst, die zweite Neufassung die Sicherheit der Anlagen. Christiane Schwarte, Sprecherin von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), sagt: „Beides ist vom Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.“ Doch ein neues Rechtsgutachten widerspricht dem Umweltministerium.

Alle bisherigen Gutachten prüften die Bundesrats-Zustimmungspflicht unter dem Gesichtspunkt des Verwaltungsaufwandes. Und da es sich bei der Verwaltungszuständigkeit der Länder für das Atomrecht um eine komplizierte Abgrenzung von qualitativen Aufgaben handelt, waren die Gutachten zu gegenteiligen Aussagen gekommen.

Nun hat die Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siedere die Zustimmungspflicht unter dem Gesichtspunkt der Haftung geprüft. Nach den Paragrafen 34 und 36 des Atomgesetzes haften bei einem Atomunfall die Bundesländer für einen Teil des Schadens. Die Rechtsanwälte argumentieren nun, dass dieses Haftungsrisiko durch Laufzeitverlängerungen erheblich steige. Deshalb sei die Zustimmung des Bundesrates unabdingbar, argumentieren die Juristen und begründen dies mit dem Paragrafen 74 des Grundgesetzes: Wesentliche Änderungen der Staatshaftung sind nach diesem von der Zustimmung der Länderkammer abhängig.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Luftsicherheitsgesetz: In diesem Gesetz war ursprünglich auch eine Regelung zum Schadensausgleich beim Abschuss von Passagierflugzeugen vorgesehen. Der Paragraf wurde aber gestrichen. Begründung: „Die Streichung des ursprünglich vorgesehenen Schadensausgleichs ist geboten, um die Zustimmungsfreiheit des Gesetzes herzustellen.“

Es ist nicht das erste Gutachten, das vor den Plänen zum Umgehen des Bundesrates warnt. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums war der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, zum Schluss gekommen, dass eine Zustimmung der Länderkammer zwingend notwendig ist. NICK REIMER