Das Auto mieten statt kaufen

In Freiburg und Umland hat sich ein Car-Sharing-System etabliert, das bundesweit Vorbildcharakter hat. Auch auf dem Lande stehen Mietfahrzeuge. Angebot wird mit öffentlichem Nahverkehr verknüpft. Gemeinden könnten Parkplätze umwidmen

VON BERNWARD JANZING

Eigentlich könnte man in Freiburg und Umgebung fast 1.000 Pkw-Stellplätze streichen. Die gewonnene Fläche, fast zwei Hektar groß, ließe sich begrünen – als Freizeitareal. Und am Rande dieses Parks könnte man ein Schild aufstellen: „Diese Fläche wurde Ihnen zur Verfügung gestellt von Ihrem Car-Sharing-Verein“ – denn er ist es, der die genannte Zahl von Fahrzeugen überflüssig macht.

In Freiburg hat Car-Sharing eine Erfolgsgeschichte. Während in manchen anderen Städten die organisierte gemeinschaftliche Benutzung von Autos dümpelt oder sich wie gerade in Berlin zwei Anbieter streiten und damit reichlich Chaos hinterlassen, hat sich in Südbaden ein System etabliert, das in Deutschland in dieser Form einmalig ist. Denn nicht nur in der Stadt Freiburg stehen inzwischen fast 100 Fahrzeuge zur kollektiven Nutzung bereit, sondern es gibt auch 40 weitere verstreut im Umland. Selbst kleine Gemeinden wie Ihringen, Ehrenstetten oder Steinen verfügen heute über Car-Sharing-Autos.

Auch die Verknüpfung von Car-Sharing und öffentlichem Nahverkehr – andernorts bisher selten praktiziert – funktioniert in Freiburg. Für nur 44 Euro im Monat gibt es die „RegioMobilCard“, eine übertragbare Monatskarte für den gesamten Freiburger Verkehrsverbund inklusive Mitgliedschaft im Car-Sharing-Verein. So liegt es nahe, dass hier die Fahrzeuge häufig in Bahnhofsnähe stehen. Wer zum Beispiel im Schwarzwald mobil sein will, kann die Höllentalbahn bis Hinterzarten oder auch bis Neustadt nehmen und hat dann am Bahnhof einen Mietwagen bereitstehen.

Mit Chip und Code

Rund um die Uhr lassen sich die Fahrzeuge telefonisch buchen, egal ob man das Auto gerade im Freiburger Zentrum braucht, oder auf dem Land. Eine Chipkarte und ein bei der Buchung übermittelter Code erlauben dann den Zugang zum Fahrzeug, dessen Standorte in einem umfassenden Handbuch stets aktualisiert verzeichnet sind.

Seit April 1991 gibt es das Angebot, das inzwischen von mehr als 2.000 Menschen genutzt wird – Tendenz weiter steigend. „Wir wachsen jährlich um 10 bis 20 Prozent“, sagt Matthias-Martin Lübke, Gründer und Geschäftsführer des Car-Sharing Südbaden-Freiburg e. V. Denn schließlich liegt der Gedanke, Autos gemeinsam zu benutzen, nahe: Ein durchschnittliches Auto steht jeden Tag 23 Stunden ungenutzt herum. Gäbe es das Car-Sharing nicht, müssten sich viele der heutigen Car-Sharer eigene Fahrzeuge zulegen – und würden die Städte somit noch mehr verstopfen.

Altersgruppe um 40

Wer aber sind nun die Menschen, die ihr eigenes Auto verkaufen (oder sich erst gar keines zulegen), um sich fortan für jede Fahrt eines der Gemeinschaftsfahrzeuge zu mieten? „Fast alle haben zumindest Abitur“, ermittelte bereits im Jahr 2001 eine Studienarbeit über die Freiburger „Autoteiler“. Am stärksten ist die Altersgruppe um die 40 Jahre vertreten, überdurchschnittlich viele Mitglieder sind selbstständig. Die männlichen Autofahrer sind mit 54 Prozent knapp in der Überzahl.

Es sind vor allem Menschen, die pragmatisch denken. Unterdessen ist ein ursprünglich weitverbreitetes Motiv, nämlich das hehre Ziel, den ausufernden Individualverkehr durch Gemeinschaftsfahrzeuge einzudämmen, in den Hintergrund getreten. Heute nutzt man das Angebot zumeist als moderne Dienstleistung – weil es für viele Nutzer billiger ist als ein eigenes Auto. Das gilt für jeden, der nur mäßig viel fährt. Je nach Berechnungsweise liegt die Schwelle, wann sich die Mitgliedschaft rechnet, bei 6.000 bis 10.000 Kilometern jährlich.

Ein Großteil der Nutzer schätzt einen weiteren Vorteil: die Möglichkeit, je nach Bedarf unterschiedliche Fahrzeugtypen fahren zu können. Denn zu buchen gibt es Kleinwagen und Kombis, Neunsitzer wie Kleintransporter.

Und weil schon allein diese Vielfalt manchen Autofahrer überzeugt, nutzt in Südbaden jedes sechste Mitglied die Car-Sharing-Fahrzeuge als Ergänzung zum eigenen Wagen – und ersetzt damit unter Umständen einen Zweitwagen.

Auch erste Unternehmen und Institutionen haben bereits die Vorzüge der Gemeinschaftsfahrzeuge gegenüber einem eigenen Dienstwagen erkannt. Denn anders als beim eigenen Auto sind beim Car-Sharing die Fixkosten – monatlich 4 Euro für Privatpersonen, 9 Euro für Institutionen – kaum der Rede wert. So greift zum Beispiel das Landratsamt in Tuttlingen gelegentlich auf die günstigen Mietfahrzeuge zurück. Und die Stadtverwaltung Lörrach hat ihren Fuhrpark zugunsten des Car-Sharings sogar deutlich reduziert.

Solche Geschäftskunden sind übrigens besonders gerne gesehen. Denn ihre Nutzungszeiten ergänzen sich bestens mit jenen der Privatmitglieder: Private buchen die Autos am häufigsten an den Wochenenden oder abends, Firmen und öffentliche Einrichtungen üblicherweise während der Bürozeiten. Das verbessert die Auslastung der Fahrzeuge.

Einen Grund für den Erfolg sieht Vordenker Lübke aber auch in der Struktur der Freiburger Organisation, die einst als Selbsthilfeverein gegründet wurde. „Unser Leitbild ist noch immer, dass wir eine soziale Bewegung sind“, sagt der Soziologe, Politologe und Jurist. Und er ist trotz des besonderen Rufs Freiburgs als Ökostadt davon überzeugt, dass sich auch in anderen Regionen der Bundesrepublik ähnlich erfolgreiche Systeme aufbauen ließen: „Wichtig ist die Mitbestimmung der Mitglieder.“

Parkplätze umwidmen

Allerdings könnte – auch in Freiburg – das Angebot noch besser werden, wenn es noch mehr Verbündete gäbe. Zwei potenzielle Unterstützer sind es, die Lübke bisher vermisst. Zum einen die Deutsche Bahn (DB). Sie müsste auch im eigenen Interesse viel aktiver werden: Erhebungen in Freiburg belegen, dass 73 Prozent der Car-Sharing-Mitglieder eine Bahncard besitzen. Und 54 Prozent haben eine Monatskarte für den Nahverkehr. Während einige Verkehrsverbünde in Deutschland die Chance einer Kooperation bereits erkannt haben, tut sich der Koloss DB jedoch schwer. Oder er hinterlässt – wie in Berlin – nach einer zeitweiligen Kooperation mit einer regionalen Organisation verbrannte Erde.

Der zweite potenzielle Partner sind die Kommunen. Wenn die nämlich in Zukunft spezielle Parkplätze für Car-Sharing-Fahrzeuge ausweisen würden – ähnlich einem Taxi- oder Behindertenparkplatz – könnte das der Idee des Autoteilens einen weiteren Schub geben. Schon heute können die Städte und Gemeinden eine solche „Teilentwidmung“ von Parkplätzen zwar vornehmen, doch sie tun es nicht. Die Kommunen, vermutet Lübke, werden das Thema erst angehen, wenn ein entsprechendes Bundesgesetz eine solche Praxis nahelegt – und genau dieses Gesetz ist im Verkehrsministerium derzeit in Arbeit.