piwik no script img

Ein Löwe auf dem Sprung

Der ägyptische Sänger Hakim stand kurz davor, mit seinem arabischen Pop den US-Markt zu erobern – doch dann kam ihm der 11. September 2001 dazwischen. Heute Abend tritt der 44-Jährige zum ersten Mal in Deutschland auf

Von DANIEL BAX

Der Mann ist ein Vielflieger. Gerade erst ist er in New York aufgetreten, anschließend war er in Tunesien. Seine nächsten Stationen sind Mailand, London, Oslo und Stockholm, da dürfte einiges an Bonusmeilen zusammenkommen. Doch zunächst einmal kommt Hakim an diesem Wochenende erstmals nach Deutschland, nach Berlin. „Ich bin drei Viertel des Jahres im Ausland unterwegs“, sagt der Sänger aus Ägypten am Telefon, und ist über die schlechte Leitung doch kaum zu verstehen.

Hakim ist Handlungsreisender in eigener Sache. In Ägypten schon seit mehr als zwanzig Jahren im Popgeschäft, gilt er inzwischen im gesamten arabischsprachigen Raum als Superstar. Doch obwohl er sich schon seit Jahren bemüht, seinen Ruf noch weiter über die Grenzen seiner Region hinaus zu verbreiten, ist er im Westen noch immer weitgehend unbekannt. Bei seinen Auftritten in westlichen Metropolen tritt er deshalb meist vor einem Publikum auf, das mehrheitlich des Arabischen mächtig ist. „Ich habe viele Fans in den USA und Europa“, betont Hakim zwar. „Musik ist eine universelle Sprache.“ So ganz stimmt das aber eben doch nicht.

Seine Schwierigkeiten, den Kreis seiner Zuhörer zu erweitern, sind symptomatisch: Zwar verkaufen sich quietschbunte Compilations wie „Now that’s what I call Arabia“, „Sunshine Arabia“ oder gleich vollmundig „The Best Arabian Album in the world … ever“ auch hierzulande ganz gut, und die arabische Popindustrie braucht, was Professionalität und Kommerzorientierung betrifft, den Vergleich mit dem Westen inzwischen nicht mehr zu scheuen. Doch noch ist keinem Popstar aus Kairo oder Beirut der Sprung in den westlichen Charts-Mainstream gelungen – und das, obwohl sich die Musikszene in Europa und den USA – mit Bollywood-Hype und Latin-Boom – derzeit so weltoffen zeigt wie nie zuvor.

So fährt Hakim schon seit Jahren zweigleisig. Einerseits hält er den Kontakt zur arabischen Straße und gibt sich weiter als Mann des Volkes. Andererseits bastelt er beständig an einer internationalen Karriere. Den Anfang dafür machte er in den späten Neunzigerjahren, als er sich von den Dub-Musikern der britischen Band Transglobal Underground ein Remix-Album anfertigen ließ. Das kam bei seinen Fans am Nil zwar nur mäßig an, ließ aber im Ausland so manchen aufhorchen.

Noch lukrativer war seine Begegnung mit dem US-amerikanischen Megaproduzenten Narada Michael Walden, einem mehrfachen Grammy-Gewinner, der schon für Mariah Carey, Whitney Houston und Aretha Franklin so manchen Nummer-1-Hit geschrieben hat. Die Zusammenarbeit begann vor fünf Jahren, als Walden drei Songs mit slickem R&B-Flair zu dessen Album „Talakik“ beisteuerte. Auf Hakims jüngstem Album „Lela“ wurde das Teamwork noch weiter ausgebaut: Mit einem Duett mit dem Soulveteranen James Brown als Titelstück und der markanten Mundharmonika von Stevie Wonder, die an einer anderen Stelle erklingt, schielt das Album noch deutlicher als bisher auf den internationalen Markt. Auch die Website von Hakim ist auf Internationalität getrimmt: Um auf die dreisprachige Seite mit Diskografie, Konzertterminen und Lebenslauf zu gelangen, muss man zunächst seinen Namen in Hieroglyphenschrift anklicken; anschließend läuft ein Löwe von links und rechts über den Bildschirm. „Der Löwe von Ägypten“ ist sein Spitzname.

Kein schlechter Ehrentitel für einen Musiker, der vor nunmehr 44 Jahren als Sohn eines Bürgermeisters in der ägyptischen Kleinstadt Maghada geboren wurde und dort mit 14 Jahren seine erste Band gründete. Nachdem er zum Studium der Kommunikationswissenschaften nach Kairo gezogen war, gelang Hakim der Einstieg ins Pop-Biz. In den frühen Neunzigerjahren erschienen seine ersten Kassetten, die noch ganz im populären „Shaabi“-Stil gehalten waren. Shaabi ist der folkloristische Sound der arabischen Straße, der von volkstümlichen Rhythmen und Melodien geprägt ist; es ist die Lieblingsmusik der Taxifahrer und Tagelöhner der Millionenmetropole am Nil. Von gebildeten Ägyptern wird das Wort meist mit einem abschätzigen Beiklang ausgesprochen, so, wie man in Deutschland „Schlager“ sagt. Doch Shaabi ist ein Millionengeschäft, und das nicht nur in Ägypten. Allerdings „bedeutet Shaabi in jedem arabischen Land etwas anderes“, betont Hakim. „Denn jedes Land hat seine Traditionen.“

Hakim hat den ägyptischen Shaabi-Stil an die Schnittmuster des globalen Pop angepasst. Und er hatte das Glück, dass die ägyptische Tradition in der arabischen Welt den Ton angibt. Noch immer gilt Kairo als musikalische Kapitale, deren Echo noch in der entferntesten Winkeln und der entlegensten Kasbah der arabischen Welt widerhallt. Dank Satelliten-TV ist dieser Einfluss sogar noch größer geworden. In seinen Musikclips gibt sich Hakim gerne als Mann von der Straße: Die Videos spielen häufig an „typisch ägyptischen“ Orten, im Wasserpfeifencafé am Nilufer oder in den Seitenstraßen von Kairo. Wenn er nicht gerade in elegantem Schwarz auf der Bühne steht, trägt Hakim gerne weit geöffnete Hemden, grobkarierte Sakkos oder auch mal eine grobe Lederjacke, wie tausende einfache Ägypter auch, und noch immer tritt er auf Hochzeitsfeiern auf, dem traditionellen Terrain der Shaabi-Sänger. Doch zugleich ist er ein Publikumsmagnet, hat schon mehr als 6 Millionen Alben verkauft, und sein Fernsehspot für die ägyptische Mobiltelefon-Firma MobiNil war ein solcher Erfolg, dass davon gleich mehrere Fortsetzungen gedreht wurden. Inzwischen versucht er sich, wie viele ägyptische Sänger vor ihm, auch als Schauspieler in Filmkomödien von zweifelhafter Qualität.

So steht er weiter mit beiden Füßen fest auf dem Boden des ägyptischen Massengeschmacks, dem er seinen Erfolg zu verdanken hat. Vor fünf Jahren war er nahe dran, in neue Dimensionen aufzubrechen. Doch gerade als er zum Karrieresprung in die USA ansetzen wollte, kamen ihm die Flugzeugattentate des 11. September dazwischen, und Arabisches war auf einmal nicht mehr so angesagt. Zwar nahm Hakim gemeinsam mit dem algerisch-französischen Rai-Star Khaled an einer US-Tournee teil, die ein paar Monate nach dem 9/11-Schock für ein bisschen gut Wetter in den USA sorgen sollte. Doch die Goodwillgeste konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bin-Laden-Leute seine Pläne dauerhaft durchkreuzt hatten.

Das Image der arabischen Welt hat seither einen historischen Tiefstand erreicht, daran kann ein einzelner Sänger auch wenig ändern. Selbst Lenny Kravitz musste das feststellen: Der nahm zwar vor dem Irakkrieg mit dem irakischen Popstar Kadim Al Sahir einen gemeinsamen Friedenssong mit dem eindeutigen Titel „We Want Peace“ auf. Doch das Stück, ein Hybrid aus Rockgitarren und arabischen Rhythmen, erschien bezeichnenderweise nie auf Platte, sondern kursierte lediglich im Internet.

Wir haben doch auch Kino, Kunst und Kultur“, hebt Hakim zum Lamento an, und es klingt resigniert. „Die Leute hier gehen ins Theater, in die Disko oder sie lesen Bücher, wie überall auf der Welt. Aber die Medien zeigen immer nur die schlechten Seiten des Nahen Ostens: jeden Tag Selbstmordattentäter, Krieg und Tod. Sie sollten mehr von dem zeigen, was wir Künstler hier tun. Es ist ja nicht so, dass es uns nicht gibt.“

Doch seit dem 11. September ist es schwieriger geworden für ihn, im Westen aufzutreten. Die Anzahl der Konzertanfragen hält sich in Grenzen, und mit den Visa gibt es immer Schwierigkeiten. „Man muss sie immer schon drei Monate im Voraus beantragen“, stöhnt Hakims Managerin. Und so mancher Grenzbeamte am Flughafen dürfte wohl etwas skeptisch schauen angesichts der vielen Einreisestempel in Hakims Reisepass.

Auch der Krieg im Libanon hat die arabische Musikszene nicht unberührt gelassen: Nicht nur weil viele Popstars aus dem Libanon die Veröffentlichung ihrer Alben verschoben, und ihre plötzlich frivol wirkenden Popclips aus dem Verkehr zogen. Auch Hakim, sonst eigentlich ein Garant für unbeschwerte Leichtigkeit, zeigte sich betroffen angesichts der brachialen Gewalt. Kurz bevor er kürzlich zu einem Konzert nach Tunesien aufbrach, nahm er noch ein Stück mit dem sprechenden Titel „Botschaft“ auf. „Bitte sorgt dafür, dass sich die Menschen sicher fühlen“, lautet eine Liedzeile des Songs, der wie eine Art Weckruf verfasst ist und in dem viel von weinenden Müttern, von Moscheen und Kirchen sowie von Bagdad und Jerusalem die Rede ist. „Frieden ist Sicherheit, und Sicherheit heißt Leben“, schließt das Stück so mahnend wie pathetisch. Es gibt eben Momente, in denen auch einem Sonnyboy das Lächeln vergeht.

Am heutigen Samstag tritt Hakim beim „Völkerball“ des RBB-Radios Multikulti in der Kulturbrauerei in Berlin auf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen