„Wer frisst wen, in welcher Menge?“

WASSERMASSEN Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat die Menschen erschreckt. Über das Meer aber wissen sie eigentlich nicht viel. Ein Gespräch mit der Helgoländer Meeresbiologin Karen Wiltshire

■ Person: geboren 1962 in Dublin, Irland. Seit 2001 lebt und arbeitet die Irin mit ihrem Mann, ebenfalls als Forscher tätig, und ihren zwei Kindern auf der Nordseeinsel Helgoland.

■ Werdegang: studierte Umweltwissenschaft (Dublin), Promotion in Hydrobiologie (Hamburg). Wiltshire hat über 100 wissenschaftliche Arbeiten über die kleinsten Bewohner des Meeres und deren Antwort auf den Klimawandel verfasst.

■ Beruf: Direktorin der Biologischen Anstalt Helgoland, der Wattenmeerstation Sylt und Vizedirektorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft

VON MARIA ROSSBAUER

Es ist ein grauer Morgen auf Helgoland, der Wind ist stürmisch, das Meer wirft seine Wellen gegen die roten Felsen der Nordseeinsel. Nur die Kurpromenade trennt die Biologische Anstalt Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts von der Küste. Überall in diesem Haus riecht es nach Salzwasser. Aus dem Bürofenster der Direktorin sieht man die benachbarte Sanddüne. Und das Meer. Karen Wiltshire sitzt an ihrem Schreibtisch, in der Hand eine Tasse Kaffee, es ist noch früh am Morgen. Wiltshire sieht aus dem Fenster. Ihr Blick ist konzentriert, bleibt am Wasser hängen.

taz: Frau Wiltshire, was sehen Sie denn da draußen?

Karen Wiltshire: Gerade ist Ebbe, das heißt, das Wasser läuft ab – wenn auch nicht besonders schnell im Moment. Der Wind ist ziemlich stark heute, um die 15 Knoten, die Wasseroberfläche sieht ein bisschen turbulent aus. Und das Meer ist eher trüb. Für mich bedeutet das, dass da eine Alge drin ist, in ziemlichen Mengen. Irgendeine ist mal wieder ziemlich gewachsen, nächste Woche wird dann wahrscheinlich ein anderer ohne Ende zu fressen haben.

Einer wächst, einer frisst? Wer frisst denn hier wen?

Zunächst fressen ganz kleine Tierchen – Zooplankter heißen sie – die Algen auf, dann kommen Fische, die das Zooplankton wegfressen. Und wahrscheinlich sind da im Moment auch eine Menge kleiner Quallen drin, die auch mitmischen.

Woran sehen Sie das alles?

Ich habe mich schon oft gefragt, warum ich nur vom Rausgucken erkenne, dass gerade viele Algen im Wasser sind und einer viel frisst, dass es kälter ist oder wärmer. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man als trainierte Ökologin hunderttausend kleine Impulse ganz schnell so wie ein Rechner verarbeitet. Wenn ich am Meer bin, stelle ich mich als Erstes hin und mache eine Bestandsaufnahme: Farbe, Geruch, Wasserstrukturen, all so sinnliche Dinge. Vielleicht ist es eine meiner Fähigkeiten, das zu erkennen. Eine Art Intuition. Ich glaube, dass man auch nur dann ein erfolgreicher Meereswissenschaftler sein kann, wenn man diese Intuition für das Meer hat.

Kommt das daher, dass Sie am Meer aufgewachsen sind?

Wahrscheinlich, ja. Ich bin in Dublin groß geworden, das Meer definiert da ja eigentlich alles. In der Schule haben wir jedes Jahr ein Praktikum am Strand oder an den Steinküsten gemacht. Ich habe schon als Kind in Marmeladengläsern Wassertierchen und Pflanzen gezüchtet. Wenn man die Wasserpflanzen in ein Glas steckt, tummelt sich da nach ein paar Tagen alles Mögliche, das geht ganz schnell, vor allem wenn man das Glas ins Licht stellt, dann ist das in kürzester Zeit voll mit Leben.

Was für ein Meer war das, an dem Sie aufgewachsen sind?

Ähnlich wie die Nordsee. Also ein kabbeliges, unberechenbares Meer, ein eher rohes. Eigentlich so, wie wir es jetzt gerade haben. Im Winter gab es dort aber oft Stürme, die dann ganze Küsten weggespült haben.

Sie haben in Hydrobiologie promoviert, also das Wasser in all seinen Formen erforscht. Was wissen Sie über das Meer?

Eigentlich wissen wir nichts über das Meer. Die ersten deutschen Ozeanografen waren noch der Auffassung, dass man innerhalb von ein paar Jahren alles erforscht hätte. Die ernsthafte Meeresforschung begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber erst als man gut mikroskopieren konnte, erfasste man wirklich, was da im Wasser alles rumkreucht und schwimmt. Auch Charles Darwin hat in der Zeit entscheidende Impulse gesetzt. Da kam auch nach Helgoland eine Welle von Naturforschern, um hier ihre Netze durchs Wasser zu ziehen. Aber teilweise versuchen wir noch immer die gleichen Fragen wie vor 150 Jahren zu beantworten.

Was sind das denn für Fragen?

Wer frisst wen, in welchen Mengen, warum haben Organismen bestimmte Formen, warum kommen sie in manchen Gegenden vor, in anderen nicht? Heute stehen die aktuellen Probleme im Vordergrund. Seit drei Jahren ist das bei uns der Klimawandel. Am Alfred-Wegener-Institut gehen wir der Frage nach, was nun mit dem Ökosystem im Meer passiert, was sich ändert. In anderen Teilen des Instituts beschäftigen sich die Forscher mit der Meeresspiegelerhöhung und dem schmelzenden Eis.

Wenn man das Meer in einen Swimmingpool packt, wie viel davon kennen wir wirklich?

Einen Fingerhut voll.

Mehr als 150 Jahre Forschung liefern kaum einen Fingerhut? Woran liegt das?

Zunächst daran, was der Mensch für wichtig hält. Wenn man wesentlich mehr Geld und Arbeitskräfte reinstecken würde, wüsste man auch schnell viel mehr. Aber wenn man bedenkt, dass noch ein gewaltiger Teil der Menschheit hungert, ist das alles relativ zu sehen: was wichtig ist.

Und wie wichtig ist nun das Meer?

Es ist die Nahrungsgrundlage für die Menschheit. Es ist ein Klimapuffer. Tatsächlich ist das Meer eine Pufferzone für vieles, was wir falsch machen. Das Meer ist vergleichsweise geduldig, weil es so riesig ist. Die Menschen wären ohne die Flüsse, die ins Meer fließen, in ihrem Dreck längst erstickt. Für mich ist das Meer eines der Systeme, das uns schützt. Ohne das Meer wären wir hier schon nicht mehr da. Der Mensch ist irgendwann aus dem Meer entstanden. Das Meer ist das Allgegenwärtigste, was es gibt. Nur wir verstehen das nicht. Ja, ich glaube, das ist das Meer vor allem: allgegenwärtig.

Sie wohnen ja auch auf einer Insel.

Ja, auf Helgoland ist das Meer so was von allgegenwärtig. Ich möchte mit dem Meer leben und mit den Witterungsbedingungen, die damit verbunden sind. Auch wenn das manchmal eine riesige Herausforderung ist. Ich werde nämlich unglaublich seekrank. Bis ich mich auf einem Schiff so eingetüdelt habe, brauche ich mindestens drei Tage. Ich bin immer wieder überwältigt von der Macht dieses Wassers. Und ich finde es teilweise auch sehr beängstigend.

Das Meer macht Ihnen Angst?

Im Winter total. Wenn ich daran denke, dass meine Kollegen teilweise bei starken Strömungen oder unter dem Eis tauchen müssen … Nein, das wäre nichts für mich. Es ist kein freundliches Medium, das wir da vor der Haustür haben, sondern eigentlich ein nicht zu bezwingendes. Eines, das, wenn es nett ist, unsere Schiffe nicht verschluckt. Sind sie denn ein Landmensch?

Ja, ich bin aus Bayern.

Also vielleicht können Sie sich das vorstellen wie mit einem Gletscher. Sie würden doch niemals ein Haus am Rande eines Gletschers bauen, weil man nie richtig abschätzen kann, was da vor sich geht. Das kann gefährlich werden. Und so muss man auch mit dem Meer umgehen.

Steht Ihr Haus hier direkt am Meer?

Es ist hinter dem Deich.

Also so romantisch am Strand käme für Sie nicht in Frage?

Nein, das geht gar nicht. Im Winter würde man hier ertrinken, da wird das Meer richtig gewaltig. Jeden Winter baggert die Helgoländer Dünencrew wieder das Café am Nordstrand aus, weil Wind und Sand es verschüttet haben. Also romantisch ist das im Winter hier auf Helgoland nicht. Eher abenteuerlich.

Muss man mutig sein, um hier zu leben?

Alle, die auf Helgoland wohnen, müssen schon ein gewisses Maß an Abenteuerlust haben. Und absolut hohe Mengen an Toleranz, weil sonst … na ja, es ist sehr eng hier, 1.400 Einwohner, absteigende Tendenz, davon 100 Wissenschaftler. Man kann sich schwer aus dem Weg gehen. Wer da nicht flexibel ist, wird nicht lange bleiben. Man muss diverse Fähigkeiten haben, um hier gut zu funktionieren. Jeder Wissenschaftler auf der Insel hat mehrere Jobs.

Zweitjobs?

Na, wenn hier mal ein Rohr platzt, können wir nicht darauf warten, bis das nächste Flugzeug irgendwen von sonst wo holt. Es muss immer einer vor Ort sein, der das richten könnte. Das Institut hier ist ein sehr altes Haus, wir sind eigentlich immer am Flicken. Und im Notfall sind wir wirklich isoliert. Notklempner gibt’s nicht.

Nervt Sie das manchmal?

Nein. Ich bin Irin, ich bin in den sechziger Jahren geboren, damals hatte Irland 24 Prozent Arbeitslosigkeit. Da musste man unheimlich flexibel sein. Meine ganzen Studienarbeiten waren immer mit Improvisation verbunden: Teilen ohne Ende im Labor war angesagt, kein Platz, kein Geld, nichts. Ich finde aber so einen gewissen Altruismus in der Gesellschaft ganz gut.

Brauchen Sie diese Nähe zum Meer?

Ich fühle mich schon wohler, wenn ich sie habe. In den Bergen würde ich nicht glücklich werden.

Wenn das Meer ein Mann wäre, was wäre das für ein Typ?

Oh, schwierig. Also die See ist für Männer ja eigentlich eine Frau … Na ja, für mich ist das Meer ein Respekt einflößendes Lebewesen, was nur bedingt berechenbar ist. Was auch wirklich gewalttätig sein kann, was man nur bis zu einem bestimmten Punkt bändigen kann, und irgendwann ist Schluss.

Wann ist Schluss?

Wenn ein Einziger aus der Nahrungskette fehlt oder ersetzt wird zum Beispiel, dann können andere Teile darin vielleicht nicht mehr existieren. Das Ökosystem im Meer kann dann umkippen.

Das Meer ist empfindlich, sensibel …

Ganz im Gegenteil. Das Meer wird uns überdauern. Das, was wir als wichtig für uns empfinden, ist tatsächlich sehr sensibel, die Zusammenhänge der Nahrungskette brauchen wir aber eigentlich nur für uns. Der Punkt ist letztendlich, dass wir Menschen nicht begreifen, dass wir Eingriffe machen, die dazu führen, dass wir uns selbst zerstören. Und das ist eine unglaubliche Dummheit. Eine denkende Spezies! Es ist doch wahnsinnig, dass man meint, aus einem Ökosystem nehmen, nehmen, nehmen zu können, ohne dass es Konsequenzen für einen selbst hätte.

Wir nehmen den Fisch aus dem Meer, als wäre es eine Tiefkühltheke.

Ja, genau. Die Überfischung ist eine gewaltige Dummheit. Wir fischen Ressourcen einfach komplett weg. Und dabei wissen wir Menschen eigentlich, dass man ehrliches Management betreiben müsste, anstatt kurzfristig Erträge für sich selbst zu erzeugen. Aber das ist eben dieses Ichproblem. Die einzelnen kleinen Fischer haben eine Menge dazugelernt. Weil die irgendwann gesehen haben, dass sie alles weggefischt haben und dass das langfristig nicht gutgehen kann.

Und wie ist das auf Helgoland?

Die Fischer hier kooperieren unheimlich gut mit uns, weil sie gemerkt haben, dass der Hummer wirklich weg war. Die Industriefischerei hingegen erlaubt wenig Mitdenken. Das ist einfach ein Raussieben. Und so schnell werden sich diese Dinge auch nicht ändern. Der Mensch reagiert scheinbar nur auf Katastrophen, zu denen er einen persönlichen Bezug hat, die ihm nahe sind.

Ist der Golf von Mexiko, wo nach dem BP-Unglück Millionen Liter Öl ausgelaufen sind, zu weit weg von uns? Müssten wir uns damit mehr beschäftigen?

Natürlich, das geht uns alle etwas an! Die Meere sind miteinander verbunden. Das sieht man an dieser Geschichte mit den Quietscheentchen: Als vor fast zwanzig Jahren ein Containerschiff mit Plastikentchen im Pazifik untergegangen ist, haben die Entchen sich nach längerer Zeit überall auf der Welt verteilt. Forscher haben sie dann dazu benutzt, um die Meeresströmungen zu deuten.

Mit dem Öl ist es genauso?

Die Meere sind verbunden, da muss man sich nichts vormachen. Was da passiert ist, wird auch anderswo Auswirkungen haben. Diese Rückstände, auch wenn man sie schwer messen kann, werden irgendwann im Golfstrom landen, Richtung Europa.

Was also bedeutet diese Ölpest für uns?

Eine Katastrophe dieses ökologischen Ausmaßes ist eine extreme Gefahr für die Natur. Wir wissen einfach zu wenig darüber, wie das Öl abgebaut wird und was dort genau vor sich geht. Aus den wenigen Studien zu Ölabbau könnte man mutmaßen, dass der Abbau im Golf von Mexiko vielleicht schneller geht, weil das Wasser wärmer ist als hier, dass bestimmte Tierarten überdauern werden, andere nicht. Man kann spekulieren, dass es mit viel Sturmaktivität schneller abläuft. Aber das ist erst mal schon alles.

Was halten Sie von den Chemikalien, die der BP-Konzern da reingeschüttet hat?

Bei kleineren Mengen Öl sind diese Dispergentien schon wichtig, weil sie helfen, dass das Öl schneller abgebaut wird. Das funktioniert in etwa so, als würde Olivenöl in einer Schüssel Wasser schwimmen und man kippt Pril drauf. Das Öl trennt sich dann in viele kleine Kügelchen auf, so können die Bakterien besser ran, um es abzubauen. Bloß: In solchen Mengen wie im Golf von Mexiko ist es noch nie eingesetzt worden.

Viel Meer: Rund 71 Prozent der Erde ist mit Meer bedeckt. Und das ist nur die Oberfläche: Das Meer erreicht an seiner tiefsten Stelle, dem Marianengraben, eine Tiefe von 11.034 Metern. Das Meer hat eine Wassermenge von etwa 1.338 Milliarden Kubikkilometer. Man könnte es also auf 535 Milliarden Swimmingpools verteilen.

Viel Leben: Über 2.500 Wissenschaftler aus 85 Ländern veranstalten gerade eine Art Volkszählung im Meer. Wenn das Riesenprojekt im Oktober endet, werden sie an die 250.000 Lebewesen gefunden haben. Und das ist nur ein Bruchteil aller Arten, die tatsächlich im größten Lebensraum der Welt rumschwimmen.

Die US-Regierung sagt, 75 Prozent der ausgelaufenen Ölmenge seien entweder verdunstet, aufgefangen worden oder habe sich aufgelöst. Ist das denn möglich? Löst sich das Öl einfach auf?

Abgebaut ist das mit Sicherheit noch nicht. Die meinen wohl das wenige Öl auf der Oberfläche.

Wird das Meer sich davon komplett erholen können?

Es wird bestimmt nicht mehr so sein wie vorher. Es würde mich schwer wundern, wenn die gleichen Lebewesen, die es dort vor der Katastrophe gab, in einem Jahr noch da sind. Und das wird alles verändern, in der Region werden ganz neue Lebensstile entstehen. Nehmen Sie die Geschichte der Nordsee: Vor 200 Jahren gediehen hier natürliche Austernbänke, hier gab es mal Walfang und Heringsschwärme. Die Menschen entlang der Küste Englands waren damals nur damit beschäftigt den Heringen zu folgen, die Fischer in ihren Booten, die Frauen zu Fuß hinterher. Diese gesamte Industrie ist jetzt einfach weg. Denn es gibt nicht mehr das gleiche Ökosystem wie vorher. Das wird auch nie mehr so sein.

Für die betroffene Region in den USA gibt es auch kein Zurück mehr?

Wir können uns ja in zwanzig Jahren noch mal sprechen, aber ich vermute schwer, dass sich da nun einiges ändert.

Zwanzig Jahre, dann erst kann man sehen, was passiert ist?

Ja. In Alaska finden die immer noch Öl im Nahrungsnetz, in Algen und Fischen – von dem Tankerunglück von 1989.

Die „Exxon Valdez“. Man hatte ja gehofft, dass die Havarie der „Deepwater Horizon“ das Bewusstsein für die Gefahr bei solchen Bohrungen steigt. Aber es wird immer weiter gebohrt.

Ja, der Mensch ist einfach zu gierig. Aber wahrscheinlich werden die Firmen aus dieser einen Katastrophe mehr lernen als je zuvor. Was da geschehen ist, wollte ja keiner. Und man muss auch wissen, dass die meisten Menschen in den USA diese Tiefenbohrungen immer noch akzeptieren. Insgesamt ist die Menschheit wohl nicht bereit, auf so was zu verzichten, auf diese Bohrungen, auf Öl.

Lässt Sie diese Gier der Menschen manchmal verzweifeln?

Ich bin inzwischen so weit, dass mich nichts mehr zur Verzweiflung bringt, überhaupt gar nichts. Wenn Sie mich vor zwanzig Jahren gefragt hätten, als wir damals schon sahen, was mit unserem Klima los ist, war das vielleicht noch anders. Damals war gerade dieser Chemieunfall in Indien, bei Bhopal, wo tausende Menschen starben. Und dieses Jahr erst haben die Leute ihr Geld gekriegt. Das muss man sich mal vorstellen! Wenn Sie so was sehen, da können Sie gar nicht verzweifeln. Denn offenbar ist das im Sinne der Menschheit, das zu akzeptieren.

Aber …

Wir nehmen alles irgendwie hin. Wenn ich mich ständig darüber aufregen würde, dass sich im Prinzip keiner wirklich für Nachhaltigkeit interessiert, dann hätte ich mich schon längst sonst wo hingepackt. Das kann ich nicht. Als Wissenschaftler schon gar nicht. Da sieht man nämlich die nackten Fakten, und die sind nicht sehr schön. Was wir aus der Fischerei wissen, das sind Dinge, die will keiner sehen.

Was meinen Sie genau?

Kein Mensch will doch einen sterbenden Fisch auf seinem Teller haben: Hier, das ist der letzte seiner Art, bitte schön. Guten Appetit! Deswegen kann ich auch nicht emotional mit meinen Fischstäbchen umgehen. Ich esse es einfach. Und ich weiß dabei ganz genau, dass nur bei bestimmten Fischstäbchen eine akzeptable Fischerei im Hintergrund ist. Vielleicht bin ich aber auch schon zu lange dabei. Ich hab auch schon viel zu viel mitgekriegt, um mit alldem emotional umzugehen.

Das klingt resigniert.

Nein. Ich bin abgehärtet. So ist das. Resigniert habe ich nicht. Sonst hätte ich längst einen anderen Beruf. Aber ich war schon immer eine Pragmatikerin. Ich versuche, auf meine Art Dinge zu verbessern, indem ich gute, transparente Forschung mache. Ich bilde Studenten aus. Ich rege mich höchstens darüber auf, dass Menschen so unglaublich selbstsüchtig sein können. Und so unbedacht mit ihrem Umfeld umgehen. Miteinander und gegenüber ihren Ressourcen. Da denke ich: Was sind wir denn eigentlich für ’ne dumme Spezies? Ich bin aber in der Lage, meinen Kindern beizubringen, dass sie mitdenken sollen und absolut anpassungsfähig sein müssen, wenn sie überleben wollen. Denn das Ende vom Lied einer veränderten Welt ist, dass die Einzigen, die überdauern werden, diejenigen sind, die sich anpassen können. Als Wissenschaftler realisiert man andererseits auch, dass der Mensch nicht überdauern muss. Ja, was soll’s, dann sind wir einfach nicht mehr da in 2.000 Jahren.

Sie glauben, der Mensch ist in 2.000 Jahren ausgestorben?

Na ja, irgendwas von uns wird schon noch da sein, wir sind ja ziemlich resistent.

Maria Rossbauer, 29, Bayerin, hat schon mal eine meeresbiologische Exkursion unternommen. Sie musste Seesterne zählen