Schick essen gehen reicht nicht

POTSDAM Für freie Künstler wird der Raum in Brandenburgs Landeshauptstadt immer enger. Eine kreative Kampagne soll das jetzt der Öffentlichkeit ins Bewusstsein rufen

VON MARCO ZSCHIECK

Es geht ganz schnell: Um Punkt 15 Uhr stellen sich mehr als 100 Potsdamer Künstler in einen zuvor aufs Pflaster gezogenen Kreis mitten in der Fußgängerzone. Fast jeder hat ein Instrument dabei. Zur Melodie von Bob Marleys „Exodus“ singen sie: „Schick essen gehn und teuer wohn’, das ist uns zu monoton.“ Gut zwei Minuten später ist es plötzlich wieder still. Die Instrumente wurden noch einmal in den sonnigen Nachmittagshimmel gehoben, dann zerstreut sich die Gruppe wieder.

Was am vergangenen Samstag zwischen Handyshop, Cafés und Apotheke als fröhlicher Flashmob daherkam, hat für die Beteiligten einen ernsten Hintergrund. Potsdams Kreative sind in Aufruhr. „Für uns geht es um die Existenz“, sagt die Sängerin Anja Engel. Ursache ist die Kündigung von mehr als 100 Kreativen und über 25 Bands aus der Alten Brauerei am Brauhausberg unweit des Hauptbahnhofs. Ende April sollen alle Nutzer das Gebäude räumen. Dann will es die Nürnberger Immobiliengesellschaft Terraplan sanieren. Schicke Wohnungen sollen dort entstehen.

Im Januar ist den Künstlern die Kündigung ins Haus geflattert. Seitdem haben sie sich organisiert. „Ich war überrascht, wie viele betroffen sind“, sagt André Tomczak, der Sprecher der vom Rauswurf bedrohten Musiker. Und das Problem gehe über die Räumung der Brauerei hinaus. Mit ihr gehe die letzte große Bastion bezahlbarer Kreativwerkstätten in Potsdams Innenstadt verloren. Ausweichen könne man nicht mehr, weil auch Projekte in anderen Teilen der Stadt in diesem Jahr ihre Orte räumen müssen. Das unabhängige Musik-, Kunst- und Kreativangebot befinde sich in der Krise.

Meist handelt es sich bei den Projekten um Zwischennutzungen von Gebäuden, die sonst leer gestanden hätten. Doch in der mittlerweile rasant wachsenden Brandenburger Landeshauptstadt wird es langsam eng. Gewerbeimmobilien in Innenstadtnähe werden in – vorzugsweise höherpreisige – Wohnungen umgewandelt. Doch nicht nur private Immobilienverwerter bedrängen die freie Szene: Das Kunst- haus 17 etwa nutzt derzeit ein Gebäude des landeseigenen Liegenschaftsbetriebs, auch damit soll im Sommer Schluss sein. Die Zentrale der Bundespolizei will sich auf dem Geländer der früheren „Preußischen Landesirrenanstalt“ ausbreiten.

Staffelei auf der Straße

Die Aktion in der Fußgängerzone soll nun der Auftakt einer Kampagne sein. In den nächsten Wochen werden Musiker unter freiem Himmel proben oder Maler ihre Staffelei auf der Straße aufstellen. Außerdem sollen sich die Potsdamer die Alte Brauerei bei einem Tag der offenen Tür selbst ansehen können.

„Wir wollen niemandem auf der Tasche liegen“, sagt Engel. Es gehe nicht darum, den Kulturfördertopf der Stadt anzuzapfen. Aber die Raumnot müsse ernst genommen werden.

Die Reaktionen aus der Politik sind bislang spärlich. Der städtische Kulturausschuss beschloss in der vorletzten Woche, prüfen zu lassen, ob sechs Bandprobenräume in einem Jugendkulturzentrum eingerichtet werden können. Doch die nötigen 50.000 Euro werden wegen einer geltenden Haushaltssperre wohl ohnehin nicht bewilligt, machte das Kulturamt unverzüglich klar.

Aus der CDU kam der Vorschlag, die Künstler doch im ehemaligen Landtagsgebäude gleich nebenan unterzubringen. Doch die rot-rote Landesregierung erteilte sogleich eine Absage. Für das wegen seiner Vorgeschichte als SED-Bezirksleitung „Kreml“ genannte Gebäude soll ein Investor gesucht werden. Die Stadtverwaltung sucht also weiter nach Alternativen für die Künstler, bislang ergebnislos.