Der fünfte Offiziellen-Sitz

In Hamburg kam am Wochenende das Stadion-Inventar der Fußball- Weltmeisterschaft unter den Hammer. In einer Auktionshalle am Rande der Stadt trafen sich vermögende Sammler und Menschen, denen die WM eine Herzensangelegenheit war, und die Uwe-Seeler-Stiftung war auch dabei

von Andrea Mertes

Posthum zu Ehren kommen, das geht meist Schriftstellern so oder Komponisten. Manchmal kommt es aber auch in anderen interessanten Berufsfeldern vor. So geschehen am Wochenende in Hamburg.

Der Job, von dem die Rede ist, wurde vor kurzem von der FIFA erfunden, anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Er trägt den Namen „Fünfter Offizieller“. Klingt wie das fünfte Rad am Wagen, meint aber einen ausgebildeten Schiedsrichter-Assistenten, der als Ersatz am Spielfeldrand sitzt, falls einer der Schiedsrichterassistenten über ein Stück Rasen stolpert oder anderweitig ausfällt. Der Fünfte Offizielle saß bei der WM in einem nach allen Seiten einsichtigen Alu-Plastik-Häuschen, das aussah wie eine Ein-Personen- Bushaltestelle. Er musste dort sitzen, damit er nicht beeinflussbar war.

Eine Aufgabe, die den traurigen Anschein einer ABM-Maßnahme hatte. Aber das ist Vergangenheit, was wiederum am Bushaltestellen-Schiri-Häuschen liegt. Denn das hat den Höchstpreis bei der Auktion des WM-Inventars von Hamburg und Hannover erzielt – und wird auch noch ein Museumsstück.

Die Weltmeisterschaft ist ja schon ein paar Wochen vorbei, man ist die grinsenden LSD-Pillen, auch bekannt als WM-Logo, einfach nicht mehr gewöhnt. Wie ein visueller Flashback sind sie jetzt noch einmal aufgetaucht. Wo Hamburg an seinen Rändern ausfranst, wo alte rote Backsteinhäuser neben Großmärkten für Tierbedarf stehen, wo die Autos schneller als 50 Kilometer die Stunde fahren, weil die Stadt nicht mehr nach Stadt aussieht, dort grinste das Logo ein letztes Mal und wies auf ein etwas heruntergekommen wirkendes Industriegelände. „Heute Versteigerung WM-Inventar“ stand dort zu lesen.

An aufgeplatzten Asphalt und wuchernden Hecken ging es vorbei zu einer Lagerhalle, in der ein Fußballfeld leicht Platz gefunden hätte. Hier war der Rest vom großen Fest angekommen. Den gesamten Monat August über sind in den WM-Städten München, Köln, Berlin, Kaiserslautern und Frankfurt die Überbleibsel des Turniers versteigert worden, sechs Termine gab es insgesamt. Hamburg war der letzte in der Reihe.

Wenn man ein Großereignis in seine Bestandteile zerlegt, dann bleiben unter anderem zurück: 23 Mal die Hausordnung. 30 milchweiße Plastik-Mülleimer. 120 Schreibtischlampen. Drei Fotografen-Westen, zwei grüne, eine in Pink. Ein Tischkicker mit defekten Beinen. Zwei Schilder mit der Aufschrift „Diverse Spielergebnisse“. Mehrere Paletten eingeschweißter IKEA-Stühle, wahlweise mit oder ohne Mülleimer. Dutzende Alu-Ständer, Hunderte Banner, sechs davon mit dem Volunteers-Motto „Wir sind der dabei“. Ein Ball mit den Unterschriften der deutschen Nationalspieler. Eine Teilnehmer-Medaille aus Saudi-Arabien. 1.024 Objekte benennt das Industrieauktionshaus Dechow in seinem Katalog. WM aufräumen eben.

Weil die ehemals wichtigen Gegenstände nun auf ihren Marktwert, den tatsächlichen und den ideellen, geschrumpft sind, kommt in der Halle nicht ein Hauch von Ehrfurcht auf. Man sitzt auf den Polsterhockern der V.I.P.s Probe und amüsiert sich über den launigen Auktionator Jan Bröker: „Jetzt haben wir ein Trainingstrikot der Mannschaft von Serbien-Montenegro. So was Schönes hat im Stadtpark keiner.“ Diese Tatsache ist einem Zuhörer schließlich 70 Euro wert.

Die Überredungskunst Brökers ist nur ein Schmankerl, das Geld sitzt locker, denn die Versteigerung kommt einem guten Zweck zu. Der Erlös wird der Uwe-Seeler-Stiftung gespendet, die seelisch, körperlich und geistig behinderten Menschen hilft. Selbst ein Toiletten- Schild spielt noch 50 Euro ein. Insgesamt kommen so 30.000 Euro für die Stiftung zusammen.

Besonders locker sitzt das Geld bei einer Familie, die auch die weiteste Anreise hinter sich hat. Andreas Gröbner und seine Mutter kommen aus Tübingen, um die Filetstückchen zu kaufen. In Frankfurt und München waren sie schon und haben Originaltrikots gesteigert, jetzt sitzen sie nebeneinander in der ersten Reihe, er mit gelber Bieterkarte, sie mit einer umfangreichen handnotierten Liste. Nach einer Viertelstunde ist klar, die Gröbners kleckern nicht. Eines der begehrten Stücke, ein Fußball mit den Unterschriften der deutschen Nationalspieler, geht für 610 Euro ins Schwabenland. Gröbner Junior steht plötzlich im Fokus des Medieninteresses, ein Dutzend Kameras und Fotografen umringen ihn, der Student strahlt. Er sieht sehr jung aus, jünger als 22 Jahre. Wohl deshalb fragt ihn eine Journalistin später nach seinem Taschengeld. Ob er das beisteuern müsse. „Nein“, sagt der Tübinger, das mache sein Vater: „Der ist Arzt.“

Währenddessen hat Auktionator Bröker längst weitere Positionen unters Volk gebracht, alle zwei Minuten ein Zuschlag, ein Verbotsschild für 100 Euro, ein Sitzsack für 60 Euro. Gerade finden zwei Computerstationen einen Käufer. Draußen quetscht ein Mann ein großformatiges Banner auf den Rücksitz seiner schwarzen Mercedes S-Klasse. Dass nebenan, auf einem anderen Gelände, ein Lkw steht, der die Aufschrift „Klose-Kollektion“ trägt, muss ein Zufall sein.

Hier und da findet sich im Publikum jemand, dessen Lebensgeschichte mit der Weltmeisterschaft enger verknüpft ist, über einen Stadionbesuch oder das Public Viewing mit Freunden hinaus. In der zweiten Reihe sitzt ein Bankkaufmann mit Baseball-Cap und Anglerweste. Er kommt aus dem Kreis Rothenburg-Wümme und war Volunteer bei der WM. „Ein Lebenstraum ist wahr geworden“, sagt er.

Jetzt steigert er Bänke und Hinweistafeln. In der Vitrine landet davon nichts, er kauft für das Vereinshaus seines Sportclubs. Der 51-Jährige ist ein Mensch mit Idealen. Den Geist der WM, die gute Laune, die Gastfreundschaft, das will er hier weiter transportieren, sagt er. Indem er das Geld für einen guten Zweck ausgibt: „Da haben wir Bock drauf.“

Mit dem „Wir“ meint er alle im Saal. Und mit dieser Einschätzung liegt er wohl gar nicht so verkehrt. Es kommt so gut wie alles unter den Hammer – bleibt die Rehabilitation einer unterschätzten WM-Tätigkeit. Nach zwei Stunden wird jenes Stück aufgerufen, das unter Position 151 als „5.-Offiziellen-Sitz, aus dem Stadion Hamburg, im Alurahmen und Kunststoffeinhausung“ im Katalog vermerkt ist.

Das Einstiegsgebot liegt bei 600 Euro, die Preise klettern schnell. Gröbners würden sich das Design- Stückchen gern in den Garten stellen, schöner sitzen im Regen. Doch, da: Die Mutter stoppt die Bieterhand des Sohnes. „Ich hab‘s genau gesehen“, ruft Auktionator Bröker, „das ist nicht gut für die Mutter-Sohn-Beziehung.“

Der Saal ist erheitert, die Tübinger nehmen es gelassen, und mit 1.050 Euro bekommt ein Hamburger den Zuschlag, der eigentlich nur bis 800 Euro mitgehen wollte. Der neue Besitzer heißt Alexander Extra, ist 45 Jahre alt und will in Hamburg ein nationales Sportmuseum aufbauen. Dazu gehören natürlich spektakuläre Sport-Devotionalien. Wie die Assistenten-Ersatzbank. Oder der Fußball-WM-Globus von André Heller. Den hat der Unternehmer bereits gekauft.