Massaker auf dem Bahnhof

CHINA Bei einem Messerangriff von Unbekannten im Südwesten des Landes gibt es 33 Tote und über 140 Verletzte. Die Behörden machen sofort Uiguren verantwortlich

Eine Mehrheit der Uiguren fühlt sich von den chinesischen Behörden unterdrückt

AUS PEKING FELIX LEE

Es war kurz nach 21 Uhr, als zehn schwarz gekleidete Personen in den Bahnhof der südwestchinesischen Provinzhauptstadt Kunming eindrangen. Schon auf dem Vorplatz zückten sie ihre Messer und Macheten und stachen laut Augenzeugenberichten wahllos auf die Menschenmenge ein. Die Angreifer töteten 29 Menschen, die Polizei erschoss vier der Angreifer; eine mutmaßliche Täterin wurde verhaftet. Fünf Täter konnten fliehen.

„Ich dachte zunächst an einen harmlosen Streit“, schildert Liu Chen, ein 19-jähriger Student, der auf Urlaubsreise war, der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua das Geschehen. „Aber als ich Blut sah und die Leute schreien hörte, rannte ich, so schnell ich konnte.“ Yang Haifei, ein weiterer Augenzeuge, berichtet von einer Massenpanik. Menschen, die nicht schnell genug wegrennen konnten, seien erstochen worden. „Sie fielen einfach zu Boden.“ Die Studentin Qiao Yunao wird Zeugin, wie direkt vor ihr ein Angreifer einem Mann den Hals aufschlitzt. „Der hatte ein Wassermelonenmesser“, berichtet sie tränenüberströmt und mit Blutflecken auf ihrer Bluse im Staatsfernsehen. „Sie zerhackten, wen sie nur konnten.“

Die Spurensicherung war noch im Gange, als die Behörden bekannt geben: „Die Beweise deuten auf einen von separatistischen Kräften in Xinjiang verübten Terrortakt.“ Chinas Staatspräsident Xi Jinping verurteilte die Gewalttat und rief zum „Kampf gegen Terrorismus“ auf. Konkret verdächtigen die Behörden Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Uiguren, die in der Provinz Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas leben.

Eine Mehrheit der Uiguren fühlt sich von den chinesischen Behörden in ihrer Heimat unterdrückt. Sie werfen dem chinesischen Staat vor, ihre Religion nicht frei ausüben zu dürfen. Die zugezogenen Chinesen würden sie diskriminieren. Peking wiederum wirft den Uiguren Terrorismus und Separatismus vor. Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf Einrichtungen der chinesischen Polizei oder des Militärs. Diese antworten mit Razzien und Massenfestnahmen.

Bis vor Kurzem spielten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der Provinzgrenzen von Xinjiang ab. Anfang November aber raste eine angeblich uigurische Familie mit einem Geländewagen in eine Menschenmenge direkt unter dem symbolträchtigen Tor auf dem Tiananmenplatz in Peking. Das Auto brannte aus, die drei Insassen und zwei Passanten starben.

Doch auch die chinesische Seite hat den Konflikt angeheizt. Vor einem Monat nahm die Pekinger Polizei den prominenten uigurischen Ökonomen Ilham Tohti fest, vergangene Woche klagte sie ihn auch an. Ihm werden „separatistischen Bestrebungen“ vorgeworfen. Seinem Anwalt zufolge droht ihm die Todesstrafe.

Nach dem Anschlag auf dem Tiananmenplatz hatte Tohti darauf hingewiesen, dass nicht jeder Anschlag in China auf organisierte militante Uiguren zurückgehe. Die Unzufriedenheit sei auch in anderen Kreisen groß.