Landesweit alle Reservisten mobilisiert

REAKTION Nach russischer Intervention versetzt die neue Führung in Kiew die Armee in Alarmbereitschaft. Umstrittenes Gesetz gegen die russische Sprache soll nicht in Kraft treten. Prorussische Proteste im Süden und Osten der Ukraine

Das russische Parlament hat die Entsendung weiterer Truppen genehmigt

AUS KIEW ANDREJ NESTERKO

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew wächst die Sorge vor einem Krieg mit Russland. Als Reaktion auf die faktische Besetzung der Krim hat die Regierung am Sonntag landesweit alle Reservisten mobilisiert.

Das Verteidigungsministerium wurde angewiesen, alle benötigten Soldaten zusammenzurufen, erklärte der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats Andrij Parubij. Der ukrainische Luftraum wurde für ausländische Militärflugzeuge gesperrt. Die ukrainische Küstenwache verlegte Schiffe von der Halbinsel Krim in andere Schwarzmeerhäfen.

Zuvor hatte die neue Führung bereits die Armee in Alarmbereitschaft versetzt. Interimsstaatschef Olexandr Turtschynow verfügte verschärfte Sicherheitsvorkehrungen an Atomkraftwerken, Flughäfen und anderen strategisch wichtigen Orten. Für den „Fall einer Agression“ gebe es einen „Aktionsplan“, sagte Turtschynow.

Der ukrainische Übergangspräsident Arseni Jazenjuk warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine „Kriegserklärung gegen mein Land vor“. Die Ukraine stehe „am Rande der Katstrophe“. Putin stehe kurz davor, „einen Krieg zwischen zwei benachbarten und befreundeten Ländern“ anzuzetteln.

„Eine militärische Intervention in der Ukraine ist nicht akzeptabel. Sie ist ein Verstoß gegen alle internationalen Verträge, internationale Regeln und Verpflichtungen“, sagte Jazenjuk. Sie wäre „der Beginn des Krieges und das Ende der Beziehung zwischen der Ukraine und Russland.“ Zugleich zeigte sich Jazenjuk davon überzeugt, dass es keinen russischen Angriff auf die Ostgrenze der Ukraine geben werde. Er habe auch mit dem russischen Premier Dmitri Medwedjew telefoniert und diesen gebeten, seine Schwarzmeertruppen in die Kasernen zurückzubeordern.

Jazenjuk versicherte gegenüber EU-Vertretern, das umstrittene Sprachengesetz nicht in Kraft zu setzen. Es sieht vor, Russisch als zweite Amtssprache in der Ukraine abzuschaffen. Das Parlament hatte es am vorvergangenen Samstag verabschiedet. Julia Timoschenko verlangte die Hilfe der Europäer. Das EU-Assoziierungsabkommen sollte „innerhalb von einigen Tagen“ unterzeichnet werden.

Auf Antrag von Präsident Putin hatte das russische Parlament in Moskau am Samstag einstimmig die Entsendung von Truppen auf die Krim genehmigt. Putin begründete die Aktion mit einer „Bedrohung“ der dort lebenden russischen Staatsbürger. Der unter unklaren Bedingungen neu gewählte prorussische Regierungschef der autonomen Krim, Sergej Axjonow, hatte zuvor Moskau um „Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe“ gebeten.

Nach ukrainischen Angaben hat Russland schon über 6.000 Soldaten auf der Krim

Nach ukrainische Angaben hat Russland inzwischen mehr als 6.000 Soldaten auf die Krim verlegt, die dort alle strategisch wichtigen Punkte unter ihrer Kontrolle haben. Die Ermächtigung des Parlaments gilt über die Krim hinaus für das gesamte ukrainische Staatsgebiet.

Der ukrainische UN-Botschafter Juri Sergejew nannte auf einer Sondersitzung des Sicherheitsrats in New York die Intervention Moskaus auf der Krim „einen Akt der Aggression gegen internationales Völkerrecht“. Russland verletzte damit die UN-Charta. „Russische Truppen sind illegal in die Ukraine einmarschiert mit der durchsichtigen Ausrede, russische Bürger schützen zu müssen. Und ihre Zahl wird mit jeder Stunde größer“, sagte Sergejew in New York.

Im mehrheitlich russischsprachig besiedelten Osten und Süden der Ukraine kam es am Samstag zu prorussischen Protesten. In Charkow wurden 97 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern Moskaus und Unterstützern der Regierung in Kiew verletzt. Dort wurden die Anhänger der neuen proeuropäischen Regierung in Kiew aus dem von ihnen besetzten Verwaltungssitz vertrieben.

In Donezk kündigten die Behörden ein ähnliches Referendum über den künftigen Status der Region an wie auf der Krim, wo über mehr Autonomierechte für das russisch geprägte Gebiet abgestimmt werden soll. Demonstrationen gab es auch in Donezk, Luhansk und Odessa. (mit dpa, afp)