Ideologen, Pragmatiker, Nachfolger

Vier Wochen nachdem Fidel Castro seine Ämter an seinen jüngeren Bruder abgegeben hat, ist die Aufregung um mögliche schnelle Veränderungen auf Kuba verflogen. Eine stabile, wenn auch heterogene Führungsriege hält das Land weiter auf Kurs

VON KNUT HENKEL

Fidel Castro hat seinen Nachfolgern den Übergang leicht gemacht, könnte irgendwann einmal in den Geschichtsbüchern stehen. Die Wirtschaft boomt und auch die Interimsregierung hat klar definierte Aufgaben – ist aber nicht gerade homogen.

Carlos Lage vertrat den Comandante en Jefe Anfang August bei den Feierlichkeiten zur Vereidigung von Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe in Bogotá. Für Lage, den 54-jährigen Arzt, der 1991 in den engsten Machtzirkel berufen wurden, um die Wirtschaft zu kurieren, eine Auslandsreise von vielen. Lage ist es als Stellvertreter Castros nicht nur gewohnt, die Insel im Ausland zu repräsentieren, er war es auch, der im Jahr 2000 das deutsch-kubanische Umschuldungsabkommen aushandelte. Das machte den Weg frei für Hermes-Exportkredite, von denen deutsche Unternehmen derzeit wieder verstärkt profitieren.

Carlos Lage gilt als Architekt der kubanischen Wirtschaftsreformen der neunziger Jahre, die für einen Hauch Privatwirtschaft in Kuba sorgten, und als Arbeiter im Dienste der Revolution. Überaus spartanisch ist sein Büro in Havanna dem Bericht des ehemaligen deutschen Botschafters Bernd Wulffen zufolge eingerichtet. Per pedes kommt der gelernte Kinderarzt zur Arbeit. Lage gilt in Kuba als erhaben über jeden Korruptionsvorwurf und überaus loyal gegenüber den Brüdern Castro. Trotzdem schien der Stern Lages, dem in Diplomatenkreisen von Havanna durchaus die Steuerung des Übergangs zugetraut wird, in den letzten Jahren zu sinken. Grund war die stetig sinkende Zahl von Auslandsunternehmen und die von Freiberuflern. Beiden wurden aufgrund der stabilen Wachstumsdaten und der sich vertiefenden Kooperation mit Venezuela, China, Südkorea und anderen Handelspartnern mehr und mehr der Laufpass gegeben. Rezentralisierung wurde dieser Prozess im Ausland genannt – und Lage galt als ein Opfer.

Doch im Schattenkabinett Raúl Castros, des kleinen Bruders des máximo líder, hat Lage genauso wie die Altrevolutionäre Ramón Machado und José Ramón Balaguer ein Wörtchen mitzureden. Lage ist nicht nur für die Fortführung der energetischen Revolution, des Programms zur Beendigung der Energieengpässe, verantwortlich, sondern gemeinsam mit Zentralbankchef Francisco Soberón und Außenminister Felipe Pérez Roque auch für die Verteilung der zur Verfügung stehenden Gelder. Soberón, der seit Jahren die finanzpolitischen Fäden in Kuba zieht und in den 90er-Jahren mehrere erfolgreiche Umschuldungsaktionen einfädelte, ist im Schattenkabinett dafür verantwortlich, dass nicht mehr ausgegeben als eingenommen wird.

Zum pragmatischen Lager in Führungszirkel zählt auch Interimschef Raúl Castro, dessen Armee nicht nur in der Luftfahrt, Landwirtschaft und dem Tourismus, sondern auch im Hafen von Havanna den Ton angibt, um dem organisiertem Schwund Einhalt zu gebieten. Im Schattenkabinett von Fidels Gnaden steht diesen dreien einen ideologischer Gegenpol gegenüber. Parlamentspräsident Ricardo Alarcón und Außenminister Felipe Pérez Roque treten dabei in der Öffentlichkeit sehr viel öfter in Erscheinung als die beiden Altrevolutionäre Ramón Machado und José Ramón Balaguer. Denen hat Fidel Castro die Aufgabe übertragen, das Bildungs- beziehungsweise Gesundheitsprogramm weiter voranzutreiben, während der Benjamin in der revolutionären Führung, der 41-jährige Außenminister Felipe Pérez, gemeinsam mit dem ehemaligen UN-Botschafter Alarcón derzeit für die Außendarstellung verantwortlich scheint.

Pérez, lange Jahre Privatsekretär des Comandante en Jefe, bevor er den wegen Korruption entlassenen Roberto Robaina als Außenminister ersetzte, hat in den letzten Monaten mehrere Grundsatzreden über die Zukunft der Revolution gehalten und damit auch die Frage nach der Nachfolge seines obersten Mentors, Fidel Castro, gestellt. Ohne Castros Zustimmung wäre das nie passiert, weshalb darüber spekuliert wird, ob der als Hardliner geltende Elektroingenieur nicht ein Kandidat für die Nachfolge ist. Anders als Rául verfügt Kubas Außenminister über eine gute rhetorische Ausbildung und steht für eine neue Generation.

Die hat so langsam auch die höchsten Ebenen der Partei erreicht, die bis vor kurzem noch von der alten Garde dominiert wurde. Zu Letzterer gehört der 69-jährige Alarcón. Der drahtige Parlamentspräsident hat während der Revolution gegen die Batista-Diktatur die Jugendbrigaden organisiert und somit noch direkt am Umsturz teilgenommen. Gemeinsam mit Außenminister Pérez bildet Alarcón, so spekuliert die illegale kubanischen Oppositionszeitung La Nueva Cuba, einen Gegenpol zum Pragmatikertrio um Raúl Castro. Es gilt als wahrscheinlich, dass diese Gegensätze in der Interimsführung zum Kalkül des máximo líder gehören.