Schnell wachsende Dächer


VON STEFAN DERSCHUM

Vor drei Jahren spürte Sven Detering, was Stillstand bedeutet. Der Architekturstudent aus Detmold erinnert sich nur zu gut an seine Zeit als Hospitant in einem Projekt der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in der mosambikanischen Stadt Beira. Und wirkt immer noch fassungslos, wenn er erzählt. „Es war seltsam. Ich stand vor fertigen Bauten, denen aber das Dach fehlte, obwohl die Regenzeit kurz bevorstand. Nichts ging dort mehr, weil einfach das Bauholz fehlte.“

Holz, erklärt Sven Detering, sei ein zunehmend teurer Rohstoff, der in Mosambik oft aus 300, 400 Kilometern Entfernung herbeigeschafft werden müsse. „Die einzige Alternative ist Bambus, ein natürliches und schnell nachwachsendes Baumaterial insbesondere für ländliche Regionen, in denen Bambus auch wachsen kann.“

Als der Architekturstudent nach Deutschland zurückkommt, weiß er noch wenig über das Material, von dem er sich heute, drei Jahre später, so viel verspricht. Also beginnt er die Recherche, und an der Uni Detmold gründet sich eine studentische Projektgruppe, die Kontakte zu Fachleuten an der RWTH Aachen und am Holzbiologischen Institut in Hamburg knüpft. „Es existierten ja schon Forschungsergebnisse, und davon haben wir schließlich profitiert“, räumt Mitstreiter Christian Gallei ein. Zudem sei Bambus in Asien und Südamerika als Baustoff längst etabliert, „nur in Afrika nicht“.

Das Grundproblem der kräftigen Halme, die nach zwei, drei Jahren erntereif sind, ist die Haltbarkeit. „Ohne eine Immunisierung gegen Pilze und insbesondere gegen Termiten hat Bambus als Baumaterial eine Lebenszeit von nur zwei Jahren“, weiß Christian Gallei. Das technische Verfahren der Immunisierung war schon bekannt, so dass Sven Detering das Gesamtprojekt, das den Wünschen der mosambikanischen Regierung entgegenkommt, gerne auch als eine „Art Süd-Süd-Wissenstransfer“ bezeichnet.

Die sechs Studenten aus Detmold forcieren nicht nur den Austausch von Erkenntnissen übers Internet. Sie legen auch selbst Hand an. Wenn Sven Detering über die Motivation der Gruppe spricht, verhehlt er nicht, dass das Bambusprojekt für die Studierenden durchaus auch eine existenzielle Bedeutung hatte: einen Schein fürs Studium zu machen. Aber irgendwann war die Fassungslosigkeit über unfertige Häuser, denen doch das Dach nicht fehlen dürfe, wichtiger als der Leistungsdruck künftiger Akademiker.

Fast fiebrig sprechen die beiden jungen Männer über die Möglichkeiten von Bambus, und nicht etwa lakonisch über den x-ten Modellentwurf einer urbanen Erlebniswelt mittelgroßer deutscher Städte, die doch nur für die Schublade entstehen. Die greifbare Chance, einen Mangelzustand tatsächlich verändern zu können, beflügelt. Und als Beleg für diese Dynamik darf wohl die Transformation einer studentischen Projektgruppe zu dem Verein „Regeneraid“ als Mitgliedsgruppe beim „Welthaus Bielefeld“ verstanden werden. Die Studenten legen Hand an, wollen beweisen, dass eine Vision Realität werden kann: Sie bauen zum „Tag der offenen Tür“ der Detmolder FH im Mai 2004 ein acht Mal zwölf Meter großes Segment einer Markthalle für eine kleine Siedlung, die an der südlichen Grenze des Gorongoza-Nationalparks liegt. Im Dunst einer Haltestelle für Überlandbusse an der Nationalstraße EN1 ist dort ein Ort des Handels entstanden.

Zwei Monate nach der Präsentation im heimischen Detmold ernten sie in der mosambikanischen Provinz Sofala Bambushalme und immunisieren diese „Hoffnungsträger“, indem sie eine Salzlösung hindurch pressen. Diese Arbeiten, die die Studenten im Spätsommer 2004 zusammen mit einheimischen Fachkräften durchführen, bilden die Vorbereitung auf die letzte Phase im Sommer 2006. Seitdem lagert das zukunftsträchtige Baumaterial vor Ort und trocknet, während die Studierenden in der Heimat die logistischen und finanziellen Hürden für den erfolgreichen Abschluss des Projektes in Angriff nehmen.

Nun aber ist es soweit, die Saat soll Früchte tragen, die Markthalle mit ihrer modernen Dachkonstruktion aus Bambushalmen über einer Fläche von 400 Quadratmetern bis Ende August errichtet worden sein. „Das Fundament und die Bodenplatte sind bereits fertig“, sagt Detering.

Nicht unter Dach und Fach ist bis jetzt die Finanzierung des mehr als 100.000 Euro teuren Vorhabens in der Provinz Sofala. Zwar wurde in Kooperation mit dem „Welthaus Bielefeld“ beim Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine 75-prozentige Bezuschussung der reinen Baukosten erfolgreich beantragt, zwar steuerte die Kooperative Gesamtschule Leeste 10.000 Euro zu, und auch die FH gab Geld. „Aber uns fehlen immer noch etwa 15.000 Euro“, bekennt Christian Gallei.

Anfangs wählen die Architekturstudenten die klassische Variante, um Sponsoren zu gewinnen. Aufwändige Exposés werden an namhafte Firmen verschickt, doch positive Antworten bleiben aus. Deshalb nutzt der Verein auch das Internet. „Wir haben bei Ebay den Namen der Markthalle zur Versteigerung angeboten“, sagt Sven Detering, der darauf setzt, dass nicht nur Bierkisten oder päpstliche Vehikel das Internetpublikum reizen. „Vielleicht klappt das ja auch mal mit der Unterstützung einer wirklich wichtigen Sache“, wünscht er sich und bekräftigt: „Die Markthalle muss einfach Wirklichkeit werden.“

Die Versteigerung der Namensrechte spült nur eintausend Euro in das Vorhaben. Aber trotz dieser nicht gelösten Finanzierungspobleme weilt Sven Detering seit Ende Juli in Mosambik, um die letzte Phase des „Bambusprojekts 2004+“ einzuleiten. Seit Anfang August sind auch die fünf anderen vor Ort, um fern der Heimat eine 30 Mal 12 Mal acht Meter große Markthalle aus Bambus zu errichten.