Berlin – Moskau mit der Kamera

Eine arbeitet in Moskau, die andere in Berlin: Nina und Jette Ahrens organisieren ein Kurzfilmprojekt mit russischen und deutschen Schülern. Ziel ist es, interkulturelle Unterschiede zu überwinden

„Die mit viel Einsatz gedrehten Kurzfilme sollen nicht einfach in der Schublade verschwinden“

von Jonas Moosmüller

Igor und Irina sitzen in der Mittagssonne auf einer Parkbank am Boxhagener Platz und beißen genüsslich in ihre türkische Pizza. Um sie herum liegen zwei Regiehocker, eine Filmkamera mit Stativ, eine Filmklappe und das Storyboard zu ihrem gemeinsamen Kurzfilm „Heimweh“. In dem gehe es um einen russischen Familienvater in Berlin. Der könne nicht verstehen, warum sich sein hier aufgewachsener Sohn nichts mehr aus seinen russischen Wurzeln mache, erzählt Irina, die das Max-Reinhardt-Gymnasium in Hellersdorf besucht.

Im Moment kämen die Dreharbeiten leider nicht so gut voran, sagt die 18-Jährige. Man warte noch auf den Schauspieler für die Rolle des russischen Vaters, sagt Igor, der bis zum letzten Jahr die Moskauer Schule Nummer 1271 besuchte.

Igor und Irina gehören zu den 22 Teilnehmern des Jugendfilmprojekts Berlin – Moskau, das am Sonntag zu Ende ging. Unter der Leitung der beiden Schwestern Nina und Jette Ahrens haben Schüler aus beiden Städten zehn gemeinsame Kurzfilme gedreht – fünf in Moskau, fünf in Berlin. Außerdem arbeiteten sie in Workshops in Kameraführung, Schnitt und Schauspielertraining.

Die eigentliche Herausforderung bestand jedoch darin, in zweisprachigen Teams interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Russen und Deutschen filmisch darzustellen. Schon lange hätten sie solch ein internationales Filmprojekt mit Jugendlichen geplant, erzählen die beiden Schwestern. Mit dem Förderprogramm „Junge Wege in Europa“ von der Robert-Bosch-Stiftung und der Hilfe des Auswärtigen Amts hätten sie letztes Jahr endlich die nötigen Sponsoren gefunden.

„Wir haben hart um die Mittel gekämpft“, erzählt Jette Ahrens, die wie ihre Schwester ehrenamtlich an dem Projekt arbeitet. Die 31-Jährige hat in London und Hamburg Kunst- und Filmwissenschaften studiert. Seit 2002 bietet sie regelmäßig Film- und Radioprojekte für arbeitslose Berliner Jugendliche an.

Ihre Schwester Nina hat den Kontakt zu den Schülern hergestellt: Die Deutschlehrerin ist bekennender Russland-Fan. Seit 1992 verbringt die 34-Jährige dort ihre Sommerferien, und nach dem Referendariat am Hellersdorfer Max-Reinhardt-Gymnasium arbeitet sie an der Moskauer Schule 1271. Die Arbeitsbedingungen dort seien „einfach fantastisch“ – kleine Klassen, engagierte Schüler –, schwärmt die gebürtige Berlinerin. Außerdem habe sie in der Metropole Moskau das Gefühl, direkt am neuen Nabel der Welt zu sitzen.

In den zurückliegenden Wochen wollten sie den Moskauer und Berliner Schülern neben filmischen Grundkenntnissen in erster Linie interkulturelle Fähigkeiten mit auf den Weg geben. „Neben einer sprachlichen Kompetenz braucht man auch kulturelle Kompetenz, um Menschen aus anderen Ländern verstehen zu können“, sagt Jette Ahrens.

Gleich zu Beginn ihres Aufenthalts hätten die Schüler eigene Erfahrungen mit solchen Missverständnissen gesammelt. Am Moskauer Flughafen habe man den Hellersdorfern zwei rote Rosen in die Hand gedrückt, berichtet Nina Ahrens. Eine für sie, die andere für ihre russischen Partner. Eine gerade Anzahl roter Rosen symbolisiere in Russland allerdings tiefe Trauer. Entsprechend entgeistert hätten die Passanten auf den Haufen aufgedrehter und fröhlicher Schüler mit je zwei roten Rosen reagiert, berichtet Nina Ahrens. Um solche kulturellen Missverständnisse zu vermeiden, müsse man erst erkennen, wie gefangen man in seiner eigenen Perspektive ist, glaubt die Deutschlehrerin.

„Eigentlich gibt es ja gar nicht so viele Unterschiede zwischen Russen und Deutschen“

Igor und Irina, die mittlerweile genug vom Warten haben und die restlichen Dreharbeiten auf den nächsten Tag verschieben wollen, haben diese Perspektiverweiterung erlebt. „Ich sehe jetzt alles mit anderen Augen“ sagt Igor, „eigentlich gibt es ja gar nicht so viele Unterschiede zwischen Russen und Deutschen. Es kommt immer auf die Menschen selbst an.“

Auch Jette Ahrens ist sich nach fast 20 Tagen gemeinsamer Arbeit sicher: „Bei den Schülern ist gerade hier sehr viel passiert.“ Durch die zahlreichen interkulturelle Rollenspiele und nicht zuletzt durch die gemeinsame Arbeit an den Filmen, die in deutsch-russischen Gruppen diskutiert und umgesetzt worden seien, „gehen die Schüler jetzt viel sensibler mit dem Thema um“.

Neben Völkerverständigung und Selbstreflexion soll von dem Projekt jedoch auch wirklich Greifbares ausgehen. „Die mit viel Einsatz gedrehten Kurzfilme sollen nicht einfach in der Schublade verschwinden“, wünscht sich Jette Ahrens.

Vielmehr wolle man die gelungenen Beiträge zu einem Episodenfilm verbinden, auf den die beiden Schwestern schon jetzt große Stücke halten. Das Endprodukt soll nicht nur in den beiden Schulen gezeigt, sondern auch einem größeren Publikum präsentiert werden: Von Vorführungen im Russischen Haus in Berlin und im Moskauer Goethe-Institut bis hin zu Filmfestivals sei vieles denkbar; wann es losgeht, könne man aber noch nicht abschätzen, sagt Nina Ahrens.