Grundgesetz gegen Grundgesetz

TARIF Die Mitarbeiter des Diakonie-Klinikums streiken erneut für einen Tarifvertrag. Die Leitung will aber am eigenen Lohnsystem festhalten

„Wir reden von Beträgen zwischen 1.000 und 4.000 Euro, die sie weniger kriegen“

Arnold Rekittke, Ver.di

Bereits zum fünften Mal in diesem Jahr streikten die Beschäftigten des Diakonie-Klinikums Hamburg gestern in den drei Standorten Krankenhaus Elim, Krankenhaus Bethanien und Krankenhaus Alten Eichen. Die Gewerkschaft Ver.di hatte zum Warnstreik „gegen Tarifvertragslosigkeit und Dumpinglöhne“ aufgerufen.

Ver.di verlangt Tarifverträge für die Mitarbeiter des Klinikums, weil sie zum Teil erheblich schlechter bezahlt würden, als Kollegen anderer diakonischer Einrichtungen mit dem Kirchlichen Tarifvertrag Diakonie (KTD). „Wir reden hier von Beträgen zwischen 1.000 und 4.000 Euro, die die Beschäftigten des Diakonie-Klinikums jährlich weniger kriegen“, sagt Arnold Rekittke, zuständig für Diakonie und Kirche bei Ver.di Hamburg.

Ute Schlemmer, Pressesprecherin des Diakonie-Klinikums, hält dagegen: Bei den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie (AVR) könne von Dumpinglohn keine Rede sein. Bei den Diakoniegehältern handele es sich um ein „absolut konkurrenzfähiges Vergütungssystem, das wir seit Jahrzehnten anwenden und – auch für die Arbeitnehmer – für das bessere System halten“. Diesen Weg würden 85 Prozent der kirchlichen Einrichtungen in Deutschland verfolgen, sagt Schlemmer. Außerdem würde der kirchliche Tarifvertrag ohnehin für 70 Prozent der Mitarbeiter des Klinikums keine Verbesserung bringen.

Anders als andere diakonische Einrichtungen in Norddeutschland geht das Diakonie-Klinikum für seine etwa 1.000 Mitarbeiter keinen Tarifvertrag ein. Gehaltsfragen und Arbeitsbedingungen sollen zwischen dem Diakonie-Klinikum und einer Arbeitnehmer-Kommission im Konsens ausgehandelt werden. Das funktioniere aber nicht, sagt Arnold Rekittke von Ver.di. In der Arbeitnehmer-Kommission säßen Vertreter, die von den Leitern der betroffenen Einrichtungen gewählt würden.

Bei der Auseinandersetzung zwischen dem Diakonie-Klinikum und seinen Beschäftigten geht es grundsätzlich auch um das Streikrecht der Mitarbeiter. Die Kirche hat nach Artikel 140 des Grundgesetzes einen Sonderstatus nach dem sie ihre eigenen Angelegenheiten autonom regeln darf. Darauf berufen sich kirchliche Einrichtungen, darunter das Diakonie-Klinikum, die das Streikrecht ihrer Mitarbeiter in Frage stellen.

Die Streikenden berufen sich dagegen auf die Koalitionsfreiheit, die in Artikel 9 des Grundgesetzes festgelegt ist. „Dazu gehört anerkanntermaßen das Streikrecht“, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler Jürgen Kühling. Ihm zufolge steht das Streikrecht über dem Sonderstatus der Kirche. „Wenn die Kirchen nicht freiwillig einen Tarifvertrag abschließen, dann können die Mitarbeiter das nur durch Streik erreichen“, sagt Kühling.

HASMIK EPISKOPOSIAN