KLAUS-HELGE DONATH ÜBER DEN AUFTRITT VON RUSSLANDS PRÄSIDENT PUTIN
: Entspanntes Bedrohungsszenario

Der Präsident ist zurück. Einer Woche lang hatte sich Wladimir Putin in der Öffentlichkeit nicht mehr gezeigt. Auf seinem Moskauer Anwesen vermittelte der Mann, der die ganze Welt in Atem hält, jetzt vor ausgesuchten Journalisten einen gelassenen Eindruck.

Den Tag begann er mit einer versöhnlichen Geste, indem er die Manöver an der ukrainischen Grenze einstellte. Es war aber kein Entspannungspolitiker, der da auftrat. Geschickt vermittelte Putin den Eindruck, sich zu bescheiden. Das Bedrohungsszenario fuhr er keineswegs zurück: Russland behalte sich alle Mittel zum Schutze der Russen in der Ukraine vor. Zurzeit bestünde indes keine Notwendigkeit zum Militäreinsatz.

Damit widerspricht er den eigenen Propagandatruppen, die von – angeblich – schlimmsten Menschenrechtsverletzungen berichten. Der Kreml legt nicht mal mehr Wert auf die innere Stimmigkeit eines Arguments. Er ist sicher, dass sein Kalkül aufgeht: Da Putins europäische Partner Kiew von nun an zu mehr Konzessionen drängen werden, wird sich die Ukraine auch demnächst an die Leine legen lassen. Selbst so offenkundigen Blödsinn, wie „Selbstverteidigungskräfte“ hätten die Krim übernommen, wiederholte der Präsident. Moskaus grobes aber wirksames Lügenszenario wurde nicht um einen Deut korrigiert. In Form und Ton präsentierte er aber eine gefälligere Variante, die die empathischen Hermeneutiker der Diplomatie sicherlich zu der Forderung bewegen wird, beim Verhängen von Maßnahmen gegen den Kreml – wenn es sich denn schon nicht vermeiden lässt – doch Maß walten zu lassen.

Für solche Ansätze nachsichtiger Pädagogik haben Schwererziehbare gewöhnlich kein Ohr. Sie stützen sich auf die Erfahrung, mit Dreistigkeit, Gewalt und Erpressung am Ende besser zu fahren.

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