Goldhelm ante portas


„Für die Fans sind Pferdewetten Spaß, Nervenkitzel, ein Freizeitvergnügen“

VON GESA SCHÖLGENS

Die Hufen des Pferdes fliegen, der gelbe Sand spritzt in alle Richtungen. Konzentriert sitzt Heinz Wewering im Sulky und dreht eine letzte Runde. Eine blau getönte Sonnenbrille schützt die Augen des Trabrennfahrers, die Gläser sind mit Schlammspritzern bedeckt. Eigentlich wollte der Profi keine Interviews mehr geben. „Die gehen doch alle in die gleiche Richtung, obwohl jeder die Situation des Rennsports kennt“, brummt er, nachdem er das Pferd in den Stall gebracht hat. Mit der Peitsche in der Hand lehnt sich der Champion an die Stalltür, die weißgrauen Haare unter der Reitkappe feucht von Regen und Schweiß.

Der deutsche Trabrennsport in der Krise – Wewering kann diesen Satz nicht mehr hören. Die Krise ist aber der Grund dafür, dass der 56-Jährige, der 1965 sein erstes Rennen gewann, seine Heimat zum 1. September verlässt. Stück für Stück verlagert der erfolgreichste Trabrennfahrer aller Zeiten seit einigen Wochen seinen Betrieb von Castrop-Rauxel nach Italien, um in der Nähe von Rom für einen großen Privatstall an den Start zu gehen. Wirtschaftliches Kalkül hat den Sieg gegen Wewerings Heimatliebe davon getragen. In den vergangenen Jahren hat er seinen Hof, auf dem er mit eigenen und fremden Pferden trainiert und auch züchtet, deutlich verkleinern müssen.

Die Rennbranche bedauert den Weggang einer deutschen Symbolfigur. Es sei bedauerlich, aber auch verständlich, dass Wewering Deutschland verlasse, sagt Jürgen Hunke, mit dem Heinz Wewering als Vorstandsmitglied in der Deutschen Traberliga zusammenarbeitet. „Vielleicht kommt er zurück, wenn es bessere Rahmenbedingungen gibt.“ Gemeint sind die wenigen Wettbewerbe und die im internationalen Vergleich geringen Preisgelder. Nicht nur seine Geschäftspartner, auch Gegner verehren den zweifachen Weltmeister. Berlins Toppfahrer Michael Hönemann sagte einmal ohne Neid: „Heinz spielt in einer ganz anderen Liga als wir.“

An Ruhestand denkt die lebende Legende noch lange nicht. Auch nicht in Italien. Ausgerechnet dort hat der deutsche Dauer-Champion vor gut einer Woche seinen 16.000. Sieg eingefahren. Vor zwei Jahren hatte Wewering noch erklärt, 20.000 Siege erringen zu wollen, um sich einen Rekord für die Ewigkeit zu sichern. „Natürlich motiviert der Erfolg. Jeder Beruf braucht eine Motivation. Sonst wird er zur Routine.“

Sein schärfster Konkurrent, der Kanadier Herve Filion, ist ihm zwar nicht allzu dicht auf den Fersen. Aber Filion fährt bis zu 24 Rennen am Tag. Für Wewering, der fast täglich trainiert, ist das hierzulande nicht leistbar. In Italien ist es möglich. Nur seinen Goldhelm wird er wohl abgeben müssen, weil er nicht mehr so oft in Deutschland fahren kann. Seit 1977 befindet sich die Trophäe für den besten deutschen Saison-Trabrennfahrer ununterbrochen in seinem Besitz.

Das Geheimnis seines Erfolgs, sagte der Tierfreund einmal, seien seine Pferde. „Die Basis ist die Liebe zu den Pferden. Denn die Traber bringen den Großteil der Leistung, nicht die Männer und Frauen im Sulky dahinter.“ Aber auch Fahrer und Trainer müssten harte Arbeit leisten. Wewering hat sich hoch gearbeitet. Zum Pferdesport kam er 1964 durch zwei Onkel, die als Jockey und Trainer arbeiteten. Den Traum von einer Jockeykarriere musste er begraben, weil er zu groß und zu schwer war. So begann der damals 14-jährige Münsteraner eine Ausbildung zum Trabrennfahrer in Ewerswinkel und Recklinghausen.

Ende 1969 machte Wewering sich selbstständig mit einem „Pensionsstall für Rennpferde“ und fünf angemieteten Boxen. „Die waren zuerst einmal leer, bis auf die zwei Mäuse im Futtertrog.“ Das reichte ihm nicht. In den vergangenen 20 Jahren hat er sich auf rund 70 gepachteten Hektar ein Paradies für Pferdesportler geschaffen: das Gestüt Forstwald. Eine idyllisch gelegene Ranch mit Wohnhäusern, Rennbahn und Ställen. In der Blütezeit waren hier 40 Mitarbeiter beschäftigt, bis zu 150 wertvolle Rennpferde standen in den Ställen. Heute sind es nur noch 10 Helfer und 70 Tiere.

Einige Pferde hat Wewering bereits nach Rom verfrachtet. „Mein Paradies kostet jeden Monat ein Vermögen. Ich bekomme die Kosten nicht mehr rein. Das geht nur, wenn der Sport funktioniert“, sagt er in resigniertem Ton. Er hofft, seinen Castroper Stall noch eine Weile parallel weiterzuführen. „Es hilft nichts. Man muss in jedem Sport mit der Zeit gehen. Im Fußball werden ja auch neue Stadien gebaut.“

Im Gegensatz zum Fußball würde sein Sport in NRW stiefmütterlich behandelt, meint Wewering. „Die Leute müssen sich mehr für Trabrennen begeistern, Boxen war früher auch keine beliebte Sportart, das war unterste Schublade. Erst durch die Vermarktung als Event wurde Boxen salonfähig.“ Leider sei die Identifikation mit dem Trabsport zu gering. „Fußball ist leicht zu erklären, jeder kann es ausprobieren. Aber nicht jeder kann sich einen Traber kaufen.“

Eigentlich, sagt Wewering, hätte er schon vor fünf Jahren gehen müssen. Stattdessen wartete der Profi, der schon mal 14 Rennen am Tag fährt, ob es mit dem Sport wieder aufwärts gehe. Doch das Gegenteil geschah. Der Abschied fällt schwer, denn er hat sein ganzes Leben hier verbracht. Nur als Lehrling verließ er NRW für ein knappes Jahr, um sich in Pariser Rennställen ausbilden zu lassen. „Ich habe alle Veränderungen mitgemacht und kenne beides: das graue Ruhrgebiet mit den Zechen und der Kohle, und das grüne und schöne NRW.“ Natürlich bleibe hier seine Heimat. „Aber ich bin kein Mensch, der nicht auch anderswo leben kann“, sagt Wewering. Es klingt entschieden.

Sicherlich ist er enttäuscht über die Situation. „Das sind alle Akteure, egal ob Züchter, Reiter oder Trainer.“ Die Schuld könne man nicht allein den Medien zuschieben, die den Trabrennen zu wenig Beachtung schenkten. Auch die Organisation spiele eine Rolle. Jede deutsche Rennbahn wirtschafte für sich allein. Eine starke Interessenvertretung fehle, das Management habe versagt. Viele Rennbahnen seien veraltet.

Und auch die Wettmöglichkeiten sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schlecht – ein Thema, über das sich Wewering stundenlang aufregen kann. In NRW wird derzeit ein Wettbüro nach dem anderen geschlossen. Der Trabrennsport finanziert sich aber zum Großteil durch die Einsätze. „In Italien, Frankreich und Schweden wurde das Problem früh genug erkannt“, sagt Wewering. Dort seien die Wettgesetze liberaler, der ganze Sport existiere davon. Wewering findet nichts Schlimmes an Pferdewetten, auch wenn die Bundesregierung die Suchtgefahr anprangert. „Für die Fans ist das Spaß, Nervenkitzel, Geselligkeit – ein Freizeitvergnügen.“ Es gehe ja meist nur um „kleine Summen“.

Der Traber freut sich auch auf ein wärmeres Klima. „Ich bin ein Freund des Südens und der Wärme“, sagt er, während der Regen auf die Rennbahn niederprasselt. Auch locken höhere Siegprämien und bessere Trainingsbedingungen. „Wenn man einen guten Namen hat, kann man überall arbeiten. Aber für so einen Namen muss man eben hart schuften.“