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Die Welt braucht diesen Ort

KATHEDRALE Erst kühne Pläne, jetzt zumindest halbwegs konkrete Vorhaben. Ein Rundgang mit dem Klubbetreiber Dimitri Hegemann durch das Kraftwerk Mitte. Hier soll ein gewaltiger Techno- und Kunstraum entstehen

Alles bisschen viel zur Zeit. Aber immerhin: Es passiert etwas. Der Ort verwandelt sich

VON ANDREAS HARTMANN

Man steht da und ist überwältigt von diesem Raum. Man blickt von unten nach oben an die dreißig Meter hohe Decke und fühlt sich ganz klein. Das Gebäude ist riesig und endlos verwinkelt, eine Kathedrale aus meterdickem Beton. Alles ist unverputzt, überall hängen verrostete Schilder, auf denen „Hochspannung“ und Ähnliches steht. Dieser gigantische Komplex war das Kraftwerk Ostberlins und als solches bis 1997 in Betrieb. Erbaut wurde es 1961, im selben Jahr wie die Mauer. Es ist nicht nur ein Ort der Geschichte, sondern „ein Gebäude von hoher Spiritualität“, wie Dimitri Hegemann sagt. Er ist seit 2006 Pächter dieser Halle in der Köpenicker Straße.

Gleich nebenan befindet sich Hegemanns Club Tresor, der in den Neunzigern – damals noch an anderer Stelle – der wichtigste Technoklub Berlins war. Doch Mythen sind vergänglich. Heute kommen feierwütige Spanier und Engländer nicht wegen des Tresors nach Berlin, sondern sie wollen in den Schlangen vor dem Berghain oder der Bar 25 stehen. Manche sagen, der Tresor sei nur noch ein Klub für Brandenburger Prolls, doch dafür legen im Tresor immer noch zu gute DJs auf.

Dimitri Hegemann wiederum sah sich selbst schon immer mehr als bloß einen Klubbetreiber. Er nennt sich einen „Raumforscher“, und so, wie er das sagt, meint er es absolut ernst: „Ich bin ein Raumforscher, der die Räume vor den Pharisäern schützt.“ Die Pharisäer, das sind unter anderem die Finanziers und Kreditevergeber, die in ihren Banken hocken und erst mal mit den Köpfen schütteln, wenn Hegemann ihnen erzählt, was er vorhat mit dieser Industrieruine. Allein sie brandschutzsicher zu machen kostet wohl Unsummen. Vorerst werden deshalb bei Veranstaltungen Brandschutzordner herumlaufen müssen, um den behördlichen Mindestauflagen gerecht zu werden.

Dimitri Hegemann tickt ganz offensichtlich auf einer ganz anderen Wellenlänge als all diese Pharisäer. Das merkt man, wenn man mit ihm durch das Gemäuer streift. Etwas abwesend wirkt der 55-Jährige, als ob er selbst völlig im Bann dieser Betonfestung stünde. Ein Arbeiter kommt vorbei, er sagt: „Herr Dimitri, ich wollte Sie etwas wegen dem Hausmeisterjob fragen.“ Hegemann wirkt, als sei er aus einem Traum geweckt worden. Nicht jetzt, sagt er bloß. Hausmeisterjob, das klingt arg profan angesichts der Spiritualität des Orts. Immer wieder klingelt das Handy, immer wieder verschwindet Hegemann. Es ist wohl alles etwas viel zur Zeit. Demnächst soll das ehemalige Kraftwerk Mitte zugänglich gemacht sein. Am 2. Oktober wird hier die Ausstellung „Realstadt“ eröffnet, eine Architekturveranstaltung über die Zukunft der Stadt, die allein schon deswegen für Aufsehen sorgen wird, weil sie an diesem sensationellen Ort stattfinden wird.

„Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit“, so wird die Ausstellung mit vollem Namen heißen. Das passt zu Hegemann und seinen Visionen. Doch wären seine eigenen Wünsche bereits Wirklichkeit, wäre er längst schon viel weiter. Es existiert ein Planungspapier aus dem Jahr 2007, in dem der Ort, an dem wir uns befinden, einmal „Kraftwerk Mitte“ heißen sollte. Nüchtern, schlicht und doch Gewaltiges versprechend. Die Pläne waren kühn, aber nur halbwegs konkret. Von einem „Zentrum für Begegnung“ bis zu einer „Akademie für elektronische Kunst“ ist da die Rede. Von einem Ort für moderne Medienkunst, der Berlin auf eine Stufe mit London und New York stellen sollte. Von Soundinstallationen der Band Kraftwerk und überwältigender Lichtkunst, für die die spektakulärsten Künstler der Welt sorgen sollten.

Seitdem ist nicht viel passiert. „Die Wirtschaftskrise“, erklärt Hegemann mit Bedauern. „Realstadt“, diese Ausstellung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, bedeutet nun die nächste Chance. Statt Mixed-Media-Art von Olafur Eliasson, James Turell oder Brian Eno stellen zwar jetzt erst einmal nur Architekten Modelle aus Plastik aus, aber immerhin: Es passiert was. Der Ort, er verwandelt sich endlich.

Dazu passend hat Hegemann eben ein neues Manifest verfasst. Das „Kraftwerk Mitte“ heißt darin jetzt „Trafo. Kraftwerk für eine zukunftsfähige Welt“. Von Nachhaltigkeit spricht Hegemann, von Problemen dieser Welt, die gelöst werden und für die man einen Ort schaffen müsse. „Trafo“ soll heißen: „Wandler“. Dieser Raum soll nicht nur „ein heiliger Ort sein“, wie es noch vor drei Jahren hieß, sondern gleich der „Verwirklichung einer wünschenswerten, zukunftsfähigen Welt“ dienen.

Vor Kurzem waren tibetische Mönche oben im Dachgeschoss, sagt Hegemann: „Sie haben die Geister beruhigt.“ Seitdem läuft hier alles besser, da ist er sich sicher. „Ich denke, Berlin braucht so einen Ort“, sagt Hegemann zum Abschied. Was er eigentlich meint: Die Welt braucht so einen Ort.

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