Bahn-Debatte gerät aus den Gleisen

Die angebliche Einigung auf eine Trennung von Bahn und Schiene für den Börsengang provoziert neue Dementis

BERLIN taz ■ Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) will sich nicht geschlagen geben. Es sei keineswegs entschieden, dass die Deutsche Bahn AG (DB) ohne Schienennetz an die Börse gehe, sagte er gestern. Das aber hatten einige Parlamentarier von SPD und CDU am Dienstag nach einer fünfstündigen turbulenten Sitzung mit Regierungsvertretern verkündet.

Tiefensee und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) wollen die DB jedoch inklusive Infrastruktur privatisieren. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sekundierte: „Die Bahn muss eine echte Chance haben. Ich glaube, dass dazu auch zwingend gehört, dass die Schiene voll bei der Bahn bleibt.“ Die Bahngewerkschaft Transnet drohte erneut mit Streik, wenn sich die Bahn von ihren Gleisen trennen muss.

Ende September wird sich die Arbeitsgruppe aus Abgeordneten und Ministerialen wieder treffen, die endgültige Entscheidung soll im Oktober fallen. Transnet forderte gestern ein „Machtwort“ von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Offiziell haben jedoch Bundestag und Bundesrat das letzte Wort.

Das Verkehrsministerium ist der Auffassung, dass inzwischen nur noch zwei Modelle im Rennen sind, und will auch nur diese Varianten prüfen. In einem Fall bleibt der DB-Konzern bestehen und wird zu 49 Prozent verkauft. Der Vertrag mit den Investoren soll so gestaltet werden, dass der Staat das Schienennetz nach 20 oder 30 Jahren zurückholen kann. Kritiker sehen darin eine Einladung, die Infrastruktur auf Kosten der Allgemeinheit herunterzuwirtschaften.

Bei der zweiten Variante bleibt der Staat Eigentümer der Schienen, gibt der DB aber Nießbrauch. Damit hätte sie umfassende Nutzungs- und Investitionsrechte, die deutlich über ein Pachtverhältnis hinausgingen. Einige CDU-Politiker und die Opposition wünschen dagegen einen weniger starken Zugriff der DB auf das Netz.

Nicht mehr untersucht wird das Modell, das Verkehrsexperten, Bundesrechnungshof und Monopolkommission eindeutig befürwortet hatten: Der Staat behält die Schienen und beauftragt eine Infrastrukturgesellschaft mit der Verwaltung und Vergabe der Trassen.

FDP, Grüne und Linkspartei überlegen derweil, einen Untersuchungsausschuss über den Umgang der DB mit ihren Immobilien zu beantragen. Die DB hatte Grundstücke nicht der Netztochter übertragen. Außerdem veranschlagte sie den Wert der Grundstücke in den Büchern viel zu niedrig. Zwar will DB-Chef Mehdorn die Liegenschaften nun der Netz AG zuordnen, so wie es der Bundesrechnungshof verlangt hatte. Doch die satten Verkaufserlöse der letzten Jahre will die Konzernmutter offenbar behalten, mutmaßen Kritiker. ANNETTE JENSEN