Mit der Süßdolde auf Du und Du

KRÄUTER Eine Demo rollt mit 100 Einkaufswagen voller Pflanzen durch Kreuzberg: Pflanzenvielfalt ist das Thema des Künstlerduos Sabine Beyerle und David Reuter

„Endlich kümmert sich mal einer um Kümmel und Thymian!“

EIN KRÄUTERAKTIVIST

VON ANNA HUNGER

Christa Päseler schiebt 15 Kilo Erde mit Pflanzensetzlingen am Görlitzer Bahnhof vorbei. „Thymian“ steht auf einem Transparent, das im Kindersitz des Einkaufswagens steckt. Päsler ist 66 Jahre alt und hat noch nie an einer Demonstration teilgenommen. Normalerweise mag sie den Krawall nicht, sagt sie und bugsiert ihren Wagen zwischen einem voller Kohl und einem anderen mit Salbei hindurch. „Aber wenn’s um Natur geht, dann ist das was anderes.“

Am Mittwochabend wird Kreuzberg zum mobilen Kräuterbeet. 100 Demonstranten schieben schwitzend und gut gelaunt tonnenweise Pflanzsäcke mit Oregano, Tomatensetzlingen und Salatpflanzen in Einkaufswagen vom Umspannwerk Ohlauerstraße zum Prinzessinnengarten am Moritzplatz.

Die Pflanzendemo des Künstlerpaars David Reuter und Sabine Beyerle ist der anschauliche Abschluss der Tagung „Zukunft sichern – Vielfalt erhalten“, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Forum Umwelt und Entwicklung organisiert hat. Das Thema: gegen DIN-genormtes Gen-Gemüse vorgehen, für den Erhalt von Pflanzenvielfalt einsetzen.

„Vielfalt ist ziemlich schwer“, stöhnt eine Frau im Gärtnerkittel, als ihr bepackter Einkaufswagen auf der abschüssigen Wiener Straße immer wieder gegen den Bordstein rollt. Irgendwo zirpt ein Gelbschnabelsturmtaucher aus einem tragbaren Radio gegen den Verkehrslärm an. Ein paar Autofahrer hupen empört, als der grüne Zug am Görlitzer Bahnhof vorbeizieht.

„Die Natur“, sagt Christa Päseler thymianschiebend, „steht in meinem Leben an erster Stelle.“ In ihrem eigenen Kräutergarten wachse alles Mögliche, erzählt sie. Vielfalt sei vor allem in Zeiten von Monsanto-Gemüse und designten Zuchtschweinen wichtig. „Wenn es nur noch ein paar Sorten Kräuter gibt und die krank werden, gibt es vielleicht irgendwann überhaupt keine mehr.“ Während die alte Dame über Umweltsünder schimpft, fragt ein Mann am Straßenrand, ob er ein Blättchen Oregano für seine Pizza haben könne. „Superdemo“, ruft ein anderer. „Endlich kümmert sich mal einer um Kümmel und Thymian!“

Politik im Einkaufswagen

Ganz am Ende des grünen Zuges wischt sich David Reuter den Schweiß von der Stirn. Momentan schiebt er zwei Einkaufswagen – einen mit Süßdolde und einen mit Koriander. Insgesamt 100 hat er sich ausgeliehen – von drei Hornbach-Baumärkten und einer Metro-Filiale. Gar nicht so einfach, sagt der Aktionskünstler, einen Baumarkt zu finden, der kein Tropenholz verkauft.

Einkaufswagen, findet Reuter, passen gut zum Thema „Stadt“. „Sie vereinen die Themen Konsum und Mobilität“, sagt der Künstler. „Wir wollen dafür sensibilisieren, das man beim Einkaufen darauf achtet, was man in seinen Einkaufswagen packt.“ Das Gemüse und die Kräuter, mit denen die Wagen bestückt sind, stammen aus der Zucht der Kreuzberger Prinzessinengärtner und sollen nach der Demonstration auch wieder dort weiterwachsen.

Als die Demoteilnehmer schließlich im Garten am Moritzplatz an Bierbänken zwischen Tetrapacks voller Salbeisetzlingen Suppe löffeln, stapelt David Reuter die Kräutersäcke neben ein Beet. „Optimal gelaufen“, sagt er und wuchtet einen Sack mit Tomatenstauden von einem Hornbach-Wagen. „Ich glaube, die Leute haben was gelernt.“ Er selbst zumindest wisse jetzt, dass es nicht nur schlichte Minze gebe, sondern auch Erbeerminze, Zitronenminze, Nudelminze und sogar Schokominze. Und vielleicht, sagt Reuter, habe er schon eine Idee für die nächste Kräuterdemo.