Weißrusslands Schriftsteller sind obdachlos

Unter dem Druck der Behörden räumt der Verband seinen Sitz. Als Nächstes könnte die Organisation verboten werden

BERLIN taz ■ Weißrusslands autoritärer Staatspräsident Alexander Lukaschenko holt zum nächsten Schlag gegen seine Kritiker aus: Mitte dieser Woche musste der Verband weißrussischer Schriftsteller auf Druck der Behörden seinen Sitz im Zentrum der Hauptstadt Minsk räumen. Bis 1997 war das dreistöckige Gebäude im Besitz des 1934 gegründeten Verbandes gewesen. Im selben Jahr wurde es durch ein Dekret Lukaschenkos kurzerhand zum Eigentum der weißrussischen Präsidialverwaltung erklärt.

In der Folgezeit weigerten sich die Schriftsteller, Miete zu zahlen – mit der Begründung, dass der Verband seinerzeit den Bau des Gebäudes vor allem aus eigenen Mitteln finanziert habe. Vor wenigen Monaten verurteilte ein Minsker Gericht den Verband zur Zahlung von umgerechnet 20.000 US-Dollar, um die aufgelaufenen „Mietschulden“ zu begleichen.

Die jüngste Entmietungsaktion ist nur eine weitere Episode im Kampf des Regimes gegen die auf Weißrussisch schreibende Elite. Bereits 1994 und damit kurz nach seinem Amtsantritt war Lukaschenko gegen die Sprache des jungen unabhängigen Staates zu Felde gezogen. „Diejenigen, die Weißrussisch sprechen, können nichts anderes als das, denn es ist unmöglich, auf Weißrussisch etwas Großes auszudrücken“, sagte der russophile Lukaschenko, der bis heute weder Russisch noch Weißrussisch fehlerfrei beherrscht. Und: „Es gibt nur zwei bedeutende Sprachen in der Welt – Russisch und Englisch.“ Nach einem Referendum 1995 erhielt Russisch neben Weißrussisch den Status der zweiten offiziellen Amtssprache. Mittlerweile ist das Weißrussische im öffentlichen Leben immer weiter auf dem Rückzug – nicht zuletzt auch durch die Zwangschließung des „Weißrussischen Lyzeums“, das Lukaschenko als „Nest der Opposition“ bezeichnet hatte.

2001 stellte der Staat jegliche Zuwendungen an den Schriftstellerverband ein, der fortan in der staatlichen Presse als „nationalistische Organisation“ verunglimpft wurde, die der Regierung gegenüber feindlich eingestellt sei.

Ein Versuch des Regimes, 2002 eine ihm genehme Leitung einzusetzen, scheiterte am Widerstand der Mitglieder. Auch der neu gewählte Vorsitzende, der Schriftsteller Ales Paschkewitsch weigerte sich, dem Druck der Behörden nachzugeben, und verlor kurz darauf seinen Arbeitsplatz als Dozent in der Staatlichen Weißrussischen Universität.

Bei seinem Kongress im kommenden Monat will der Verband sowohl an die Weißrussen als auch das Ausland appellieren, ihn moralisch und finanziell zu unterstützen. Denn schon dräut das nächste Problem: Um weiter registriert zu bleiben und damit legal zu agieren, muss der Verband alsbald eine neue Adresse vorweisen. Kann er das nicht, wird die Organisation verboten. Im Reiche Lukaschenkos ist auch das mittlerweile eine bewährte Methode, um Nichtregierungsorganisationen kaltzustellen.

„Es ist einfach absurd, mir fehlen die Worte. Es gibt wohl kaum ein Land auf der Welt, wo solche Dinge passieren“, sagte eine Frau in Minsk dem Sender Radio Free Europe. „Überall werden Schriftsteller hoch angesehen und respektiert. Hier bei uns werden sie in den Dreck getreten.“ BARBARA OERTEL