jugend liest
: Gegen den Trend der zerfallenden Familien: Bücher über Elternliebe, Bullerbü-Kindheiten und die Liebe überhaupt

Familie? Im Jugendbuch der letzten Jahre war sie in der Regel eine fast schon historische soziologische Größe, die in ihren zahlreichen Verfallserscheinungen dargestellt wurde. Überall Ehekrisen, Trennung, Scheidung, auch wenn in der Realität zwei Drittel aller Ehen halten, was doch eine beachtliche Zahl ist. Die Jugendbuchautoren aber erzählten lieber von egozentrischen Stiefvätern, mit sich selbst beschäftigten, unreifen Müttern und einsamen Kindern, die sich tapfer durch den Familiendschungel kämpfen. Ein neues Familienklischee war geboren, als ob es das alles nicht mehr gäbe, in welcher Konstellation auch immer: Geborgenheit, Solidarität, Liebe.

Ausgerechnet die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev, die in Erfolgstiteln wie „Mann und Frau“ und „Späte Familie“ die modernen Beziehungen in brutaler Ehrlichkeit sezierte, hat mit der Illustratorin Julia Kaergel ein Bilderbuch über die Mutterliebe gemacht. Darin erzählt sie von David, der „Mamas liebster Junge“ ist: ein Kind als lebenslänglicher Glücksfall für die Eltern, aufgehoben in ihrer grenzenlosen, selbstverständlichen Liebe, die keine Bedingungen stellt und über alle Paarkrisen erhaben ist. Für seine Mutter ist David der Klügste, Stärkste und Schönste. Doch dann kommt er in den Kindergarten und stellt fest, dass es Kinder gibt, die schöner, stärker und klüger sind als er. Hat seine Mutter also gelogen? Natürlich nicht, das lernt David im Laufe dieser Geschichte.

Völlig gegen den Krisentrend ist auch das neue Buch des Niederländers Bart Moeyaert, der vom Glück erzählt, mit sechs größeren Brüdern aufzuwachsen. Der Älteste, der Stillste, der Echteste, der Fernste, der Liebste, der Schnellste und der Kleinste tun die erstaunlichsten Dinge: Sie klemmen sich geschälte Zwiebeln unter die Achseln, um krank zu werden und nicht in die Schule zu müssen; sie schicken einander in den April, pflanzen mit dem Vater Blumen an und verkaufen sie später; sie hätten beinahe einen Hubschrauber erfunden und erkunden die Tiefsee in der Badewanne. Eine Art Bullerbü-Kindheit, die es für den Autor wirklich gegeben hat: mit dem ganz normalen Geschwistergezänk und mit Eltern, die belastbar und zuverlässig sind.

Und noch zwei Bilderbücher über die Liebe: Da gibt es eine Frau, die chaotisch ist und alles Bunte liebt, und einen ordentlichen Mann, in dessen Supermarkt man nur schwarzweiße Sachen kaufen kann. „Ach, wäre das schön, einen Mann zu haben, der wild mit mir tanzt und alles durcheinanderbringt“, denkt die Frau. „Ach, wäre das schön, eine Frau zu haben, die mit mir in der dunklen Wohnung bleibt und Schach spielt“, denkt der Mann. Trotzdem knallt es zwischen den beiden. „Wie Mama und Papa Verliebte wurden“ erzählt davon, wie schön es ist, wenn zwei Menschen ihre Erwartungen vergessen und einander mögen, so wie sie sind. Katharina Grossmann-Hensel hat das in so witzigen, ironischen Bildern gemalt, dass man jeden Kitschverdacht sofort sausen lässt. Angst vor Kitsch haben offenbar auch Adriana Dorsett und Henning Löhlein nicht: Frechdachs, ein kleiner Hund, hat sehr leise, ordnungsliebende Eltern. Die kriegen nun ausgerechnet ein Kind, das nachts den Schokoladenkuchen aus dem Kühlschrank klaut und schon mal die Geburtstagsgeschenke, die für den Vater sind, auspackt. Geht deshalb die Welt unter? Wieso denn das? Ist doch schließlich ihr Kind! ANGELIKA OHLAND

Zeruya Shalev, Julia Kaergel: „Mamas liebster Junge“. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Beltz & Gelberg, Weinheim 2006, 32 Seiten, 12,90 EuroBart Moeyaert: „Brüder“. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Hanser Verlag, München 2006, 168 Seiten, 14,90 Euro Katharina Grossmann-Hensel: „Wie Mama und Papa Verliebte wurden“. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2006, 32 Seiten, 10,95 EuroAdriana Dorsett, Henning Löhlein: „So ein frecher Hund“. Altberliner Verlag, Leipzig 2006, 24 Seiten, 7,10 Euro