Schöne, giftige Frau

Maren Bock, Gründerin von Belladonna, über Feminismus, (Nicht-)Spiritualität, die politische Bedeutung von Existenzgründerinnen-Beratung, das größte Frauenpressearchiv Nordeuropas und die Hassliebe der Bremer Frauenbewegung zur taz bremen. Die – wie Belladonna – dieses Jahr 25 wird

Interview Klaus Wolschner

taz: Vor 20 Jahren habt Ihr den kleinen Verein belladonna gegründet …

Maren Bock: ... und jetzt beraten wir andere bei der Existenzgründung. Wir sind im Netzwerk von b.e.g.i.n., einem vom Wirtschaftsressort finanzierten Projekt. Vor einigen Jahren ist denen klar geworden, dass Frauen anders gründen, seitdem gibt es ein b.e.g.i.n.-Netzwerk für Frauen. Das ist ein Schwerpunkt von belladonna geworden.

Das war anfangs nicht geplant?

Nein, vor 20 Jahren gab es das nicht.

Wieso gründen Frauen anders?

Aus verschiedenen Gründen. Frauen brauchen länger. Auch wenn sie fachlich sehr gut sind, trauen sie sich nicht so schnell. Sie haben mehr Selbstzweifel. Top ausgebildete Frauen, bei denen dann plötzlich Kindheits-zweifel aufsteigen. Und interessanterweise gehen auch Frauen nicht zu Banken. Wenn sie es tun, werden sie häufiger als Männer abgewiesen. Frauen machen es oft wie türkische Menschen, die gehen zur Verwandtschaft. Kredite gibt die Sippe. Bei Frauen auch. Das ist eine große Gefahr: Das Geld leiht der Schwiegervater, die Schwägerin. Ganz wenige Frauen studieren in Wirtschaftszweigen. Wenn frau selbständig werden will, muss sie sich mit dem Thema Finanzen beschäftigen. Und Frauen arbeiten zu wenig in Netzwerken. Sie fragen zu wenig: Kennst Du da jemanden, das könnte helfen.

Zur Beratung bei belladonna kommen die Frauen über b.e.g.i.n., also letztlich die kommunale Wirtschaftsförderung?

Ja. 60 Prozent der Kosten beim Coaching übernimmt b.e.g.i.n., 40 Prozent ist Eigenanteil.

Als vor 20 Jahren belladonna gegründet wurde, da gab es kein Coaching – was hat Euch geritten?

Heute würde ich von Existenzgründungs-Idee sprechen. Was hat uns bewegt? Ganz klar die Perspektive der Arbeitslosigkeit. Wir kamen aus der Uni, hatten Sozialwissenschaften studiert, Politik, Lehramt, Sozialpädagogik. Das war die Zeit der Akademikerinnen-Schwemme, uns war klar: Nur jede dritte von uns bekommt einen Job. Wir haben schon 1984 bei Helga Grubitzsch in einem Frauenprojekt studiert, heute nennt man das „woman studies“, Thema war die Überlebensmöglichkeit von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft. Wir kamen alle aus der Frauenbewegung und sahen uns arbeitslos nach dem Studium. Es gab das Frauenkulturhaus und das Frauenzentrum, die waren sehr in sich gekehrt, das Frauenkulturhaus – heute Thealit – war damals viel aktiver nach außen als heute, aber nicht so politisch wie wir das wollten. Mit Spiritualität hatten wir nichts am Hut. Wir hatten Biografieforschung gemacht: Wie werden Menschen politisch? Spannende Frage. Wir wollten etwas Politisches machen, uns einmischen. Und wir wollten bezahlte Arbeitsplätze. Nicht ehrenamtlich.

Aber warum der Name bella donna, „schöne Frau“? Das passt doch eher zu einem Friseursalon!

Das ist aus einem Wortspiel entstanden. Prima donna, brema donna waren mögliche Namen, als Arbeitstitel nannten wir uns „kkk“, aber nicht „Kinder Küche Kirche“, sondern „Kultur, Kommerz, Kommunikation“. Brema donna ging nicht, haben wir dann gemerkt, weil eine kleine Frauenzeitung schon zwei Ausgaben so genannt hatte. Femina fand ich gut, weil da feministisch drin steckt. Ich wusste nicht, dass es Slip-Einlagen unter diesem Namen gibt. Dann kam bella donna. Dafür sprach: Man versteht das sofort. Niemand muss fragen: Wie bitte, Zentralstelle für die Gleichberechtigung der Frau oder so. Wir hatten keine Marketing-Beratung, aber wir wussten: bella donna ist sofort klar. Und bei „schöne Frau“ gibt es sofort ein leichtes Schmunzeln. Das ist ja nicht so wie Gewitterziegen. Oder Kamikaze – Frauenverein. Bella donna erzeugt Sympathie. Aber wir schreiben belladonna zusammen, das heißt Tollkirsche auf deutsch. Als homöopathisches Mittel weitet es die Pupille, den Blick. Aber pass auf, das kann giftig sein. Die schöne Frau, die giftig werden kann.

Wie wollten Sie damit Jobs schaffen? Geld verdienen?

In den ersten Jahren hatten wir eine Sauna im Haus. Das war unser ökonomisches Standbein. Wir hatten null Beratung gehabt. Wir haben uns überlegt: Am Anfang ABM-Stellen, dann über eine Sauna und über Feste mit Eintritt Einnahmen schaffen. Wir hatten zwei Betriebswirtschaftlerinnen dabei. Was die nicht ahnten: Eine kleine Sauna läuft vier Monate super, zwei Monate geht so, sechs Monate gar nichts. Nach drei Jahren haben wir die Sauna deswegen aufgegeben. Heute würde ich sagen: Eine Sauna muss größer sein, muss auch Wellness anbieten, etwas für die sechs Sommermonate.

Was kam nach der Sauna?

Seminare.

Also zahlende Teilnehmer?

Ja. Unsere Seminare kosten etwas. Erst haben wir Kreativseminare angeboten, Video-Technik, Krimi-Workshops, dann haben wir gemerkt, dass bei Rhetorik ein großer Bedarf ist. Auch heute noch übrigens. So sind wir immer mehr zu Themen der beruflichen Qualifizierung gekommen. Gesprächsführung, Konflikttraining.

Also soft skills, wie man heute sagt.

Genau. Auch wirtschaftliches Denken. Dann haben wir immer mehr unsere Zielgruppen herauskristallisiert. Seminare für Existenzgründer, Seminare für Führungskräfte, Seminare für berufliche Neuorientierung, zurück aus der Familie in den Job.

Sie haben sich am Markt orientiert – wo ist der politische Anspruch geblieben?

Das ist kein Widerspruch. Gerade wir politischen Frauen müssen lernen, dass Existenzgründung, auf eigenen Füßen stehen lernen, eine hoch politische Sache ist. Dass Frauen eigenes Geld haben ist ein wesentlicher Pfeiler für die Emanzipation. Und für das Selbstwertgefühl. Wie viele Frauen sind durch das ALG-II total abhängig von ihren Männern geworden? Intellektuelle Frauen sind im 15. Monat arbeitslos und kriegen keinen Cent mehr. Müssen den Mann für jede Ausgabe fragen.

Und der Anspruch der politischen Analyse?

Wir haben uns mit dem Golfkrieg auseinander gesetzt, wir haben im Jahre 1989 als Thema 200 Jahre Französische Revolution gehabt. Als 1988/89 in Bremen innerhalb eines halben Jahres sechs Prostituierte ermordet worden sind, da haben wir eine Veranstaltung gemacht zum Thema „Gewalt gegen Prostituierte“. Natürlich haben wir immer lesbische Themen gehabt, die woanders keinen Platz hatten. Feministische Architektur. Wir haben das Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft gegen häusliche Gewalt, Claudia Traub, vorgestellt. Teil unserer politischen Arbeit ist auch das Archiv, Sichtbarmachen von Frauenthemen. Wir sind das größte Frauenpressearchiv Nordeuropas. Wir haben 400.000 Presseartikel verschlagwortet. Wir haben eine Datenbank über Diplomarbeiten, Bücher, eine Bibliotheksdatenbank, die Ende des Jahres online wird. Wir sind im Zeitschriftenbereich mit der Humboldt-Universität vernetzt, weil wir in machen Bereichen über Zeitschriften verfügen, die weltweit selten sind.

Alles in diesem Haus in der Sonnenstraße?

Ja. Die Stadtführungen in Bremen kennen nur Gesche Gottfried als Frau, da gibt es Meta E. Schmidt nicht, die erste Schuldirektorin, oder Agnes Heinken, solche Bremer Frauen werden nicht erwähnt. Wir haben ein Lexikon herausgebracht – Frauen von A bis Z. Wussten Sie, dass 1860 die Hälfte der Bremer Frauen unverheiratet war und erwerbstätig? Dass die Bremer Brauereien in Frauenhand waren? Und viele Bäckereien.

Nicht nur die typischen Näherinnen?

Die auch. Aber auch gestandene Unternehmerinnen.

Wie viele Frauen haben heute bei belladonna ihren Job?

Wir haben vier feste Angestellte, dazu kommen natürlich viele andere auf Honorarbasis oder Ehrenamtliche.

Wie hat belladonna den Generationswechsel geschafft?

Eine von uns ist 20, eine 59.

Die vier fest Angestellten sind nicht alles Gründerinnen?

Nein, da bin ich die einzige. Das Projekt hat sich verjüngt, und wir haben inzwischen klare Strukturen in unserem gemeinnützigen Verein, auch Hierarchien. Ich bin als Geschäftsführerin verantwortlich.

Macht sich der Generationenunterschied bemerkbar – etwa in der Diskussionskultur?

Klar. Da fällt ein Name, für mich ganz klar eine bekannte frauenbewegte Schriftstellerin. Unsere Neuen kommen nicht aus der Frauenbewegung. Die fragen dann: Wer ist das? Wir diskutieren heute sogar manchmal wieder intern, unter uns, über Männersprache.

Männer waren am Anfang überhaupt nicht zugelassen …

Das ist lang her. In unserem Programm steht das für jedes Angebot. Wir haben eine Veranstaltung über Frauenfußball angeboten – für Frauen und Männer, Mädchen und Jungs. Die Seminare werden klar nur für Frauen angeboten. Bei Kultur sind die meisten Veranstaltungen offen für Frauen und Männer.

Was ist heute wesentlich für das Profil von belladonna?

Die Bandbreite der Zielgruppen. Existenzgründerinnen, die wir beraten, sind zu 90 Prozent keine Feministinnen. Die wollen qualifizierte Beratung, Hilfe von uns. Zum Profil gehört, dass wir nach wie vor alteingesessene Feministinnen als Referentinnen haben, auch lesbische Themen. Profil ist aber auch, dass belladonna sich geöffnet hat und dass wir bei Wirtschaftsmännern genauso akzeptiert werden wie bei Frauenorganisationen. Das kostet Zeit, darin steckt richtig Arbeit. Ich gehe zum Sommerfest von Hagazussa, der Frauenbuchladen gehört zum Radikalsten was es hier gibt, und ich gehe zum Wirtschaftsrat der CDU, das ist eine schwere Veranstaltung für mich. Da treffe ich auf Männer, die offen sagen – heute, im Jahre 2006! –, Frauen sollten doch lieber zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen. Da wäre ich fast ausgerastet – aber nicht wie früher. Ich habe denen erklärt, was Humankapital ist. Soll das Wissen der Frauen, die studiert haben, nur in den Windeln bleiben? So rede ich dann auch. Das ist auch für diese Volkswirtschaft nicht gut. Diese Sprache verstehen die Jungs. Diese Bandbreite finde ich richtig gut und sie zeigt, was belladonna geschafft hat. Das ist die Antwort auf die Frage nach dem Profil – quer, überall dabei. Nicht dogmatisch, politisch.