Neue Heimat West

OPERNUMZUG Am Sonntag bezieht die Staatsoper offiziell ihr Ausweichquartier im Schillertheater. Dort wird bis zuletzt gewerkelt

VON KATHARINA GRANZIN

Hurra, es lebt wieder! Das gute alte Schillertheater war vor 17 Jahren vom klammen Berliner Senat aufgegeben worden und wurde zum jammervollen Untotendasein als Abspielort wechselnder Perlen der Unterhaltungskultur verdammt. Nun aber hat es endlich das Tal der Tränen durchschritten. Seit Anfang 2009 wurde das Gebäude umgebaut. Nun darf es der Staatsoper während der Sanierung ihres Stammhauses vorübergehend Heimat bieten. Der Umzug ist bereits vonstatten gegangen; schon seit Juni arbeitet der Opernbetrieb in der Bismarckstraße. Am 3. Oktober wird sich hier zum ersten Mal der Vorhang heben für Jens Joneleits Oper „Metanoia“, für die Christoph Schlingensief Regie hätte führen sollen. Zuvor aber feiert man Eröffnung mit einem großen, symbolträchtigen Um- und Einzug der KünstlerInnen.

Feierliche Schiffspassage

Mit vier Passagierschiffen werden an diesem Wochenende Staatskapelle, Opernchor, Intendant, Generalmusikdirektor sowie SolistInnen der Oper am Sonntag vom Nikolaiviertel zur Gotzkowskybrücke geschippert kommen. Dort im Westen wird Kirsten Harms warten, die Intendantin der Deutschen Oper, um die neuen Nachbarn mit dem Kinderchor ihres Hauses zu begrüßen.

Nur wenige Tage vor dem feierlichen Einzug ist dem Schillertheater rein äußerlich kaum etwas anzusehen. Das große Banner über dem Portal, das verkünden soll, dass hier jetzt die Staatsoper zu Hause ist, fehlt noch. Aufmerksamen Passanten jedoch könnte der frisch verlegte Rollrasen auf dem Vorplatz ins Auge fallen und die riesigen Haufen von Pflastersteinen, die alle noch vor der Eröffnung verlegt werden wollen. Innen dagegen scheint alles fertig zu sein. Die Technikabteilung des Hauses allerdings, eine Runde von Männern mit ernsten Gesichtern, steht geschlossen in der unteren Wandelhalle und diskutiert. Einer Pressevertreterin das Haus zu erklären, hat man in dieser Woche wahrlich keine Zeit. Es riecht noch nach frischer Baustelle. Alles ist so neu, dass man glaubt, die Wände knistern zu hören.

Unter Denkmalschutz

Der Fünfziger-Jahre-Bau (nach dem Krieg war das alte Schillertheater nur noch Ruine) ist denkmalgeschützt. Die Farben der Wände und der Teppiche sind so originalgetreu wie möglich rekonstruiert worden. Auch die einladende, eine ganze Wand umlaufende Samtsitzbank im oberen Foyer hat man in ihrem originalen Tintenblau – interessanter Kontrast zu den vorherrschenden Beige- und Schlammtönen – wiederhergestellt.

Besonders heikel war die Umgestaltung des großen Saals zu einem musiktheatertauglichen Veranstaltungsort. Die schallschluckenden Elemente aus Gummi, die in die Holzverkleidung der Wände eingearbeitet waren, mussten entfernt werden. Stattdessen wurden Resonanzelemente eingebaut, um den Nachhall zu verlängern. In diesem eigentlich unsichtbaren, doch umso bedeutenderen Detail wird irgendwie auch schmerzlich deutlich, dass die Tage des Sprechtheaters in diesem Saal bis auf Weiteres vorbei sind. Für Opernzwecke war der alte Orchestergraben zu klein und musste ausgebaut werden; eine Maßnahme, der die ersten Stuhlreihen zum Opfer fielen.

Doch der Aufwand scheint sich gelohnt zu haben. Erst in dieser Woche fand die erste Akustikprobe mit Orchester statt und verlief vielversprechend. Daniel Barenboim ließ verlauten, er sei „überglücklich“. Das ist wahrscheinlich nicht einmal übertrieben. Das ganze Schillertheater atmet Aufbruch; es vibriert gleichsam vor Spannung. Viele, viele Premieren stehen an zu Beginn der neuen Spielzeit. In allen Sälen wird geprobt, dazwischen noch fieberhaft geklopft, geschraubt und geräumt.

Eine glückliche Fügung muss man es wohl nennen, dass der Neubeginn in der Westberliner Interimsheimat zusammenfällt mit dem Intendantenwechsel. Jürgen Flimm, der alte Theaterhase, hat seine integrativen Fähigkeiten offenbar bereits in der internen Kommunikation erfolgreich eingesetzt und den MitarbeiterInnen richtig Lust gemacht auf ein produktives Arbeitsexil im Westteil der Stadt. Es strahlt bereits in die unmittelbare Nachbarschaft aus: Mit dem benachbarten Oberstufenzentrum Körperpflege, einer großen Berufsbildungseinrichtung, die unter anderem FriseurInnen ausbildet, wird schon eine gemeinsame Produktion vorbereitet. Der Arbeitstitel: „Schnittstelle Figaro“.

■  Schiffspassage, So., 17 Uhr, Station Nikolaiviertel. Ab 18.30 Uhr, „Kleine Nachtmusik“ im Schillertheater. Eintritt frei