Das Mega-Vorglühen

SCHWABINGER KRAWALL (SPEZIAL) Heute wird das Oktoberfest im 200. Jahr eröffnet. 200 Jahre Wiesn schafft so mancher in zwei Tagen

In den 48 Stunden bis zum Anstich war der traditionelle Treck kaum zu schaffen

Dass, hat der Jackie am Donnerstagmorgen gesagt, es die Wiesn jetzt auch schon wieder 200 Jahre gebe, sei eigentlich ein Wahnsinn. Der Hubsi hat gesagt, er solle nicht so altklug daherreden, weil dafür keine Zeit sei, schließlich müsse man für so eine Megaatomsupersause in jeder Hinsicht vorbereitet sein und deshalb den traditionellen Treck vom Schwabinger Zentrum westwärts zur Theresienwiese machen, der in den 48 Stunden bis zum Anstich kaum mehr zu schaffen sei. Der Treck beginne traditionell mit einem Vormittagsbier, damit man für den langen Marsch durch die Sümpfe der Maxvorstadt gerüstet sei, und da ist der Jackie wach genug geworden, um dem Hubsi hinterherzustiefeln zum Renato, der gerade seine Mittagsmenüs serviert und ziemlich große Augen gemacht hat.

Als Nächstes, hat der Hubsi nach dem zweiten Bier erläutert, werde man die Stadtgrenzen von Schwabing überschreiten und sich in die Wildnis hineinbegeben, und der Jackie hat gemeint, in diesem Fall sei es ratsam, sich grundlegender zu stärken, deshalb sind sie nach dem dritten Bier in die Brezn, wo die blonde Bedienung noch größere Augen gemacht, sich aber gefreut hat, weil es schon so lange her war.

Danach sind sie am Fendstüberl vorbeigekommen, am Turm, am Seehaus, am Occam und in der Sieben und in noch ein paar Läden, und wie sie nach Mitternacht wieder beim Renato gelandet sind, hat der Hubsi gesagt, dann müssten sie eben die Nacht durchmarschieren, und der Jackie hat, weil er nicht mehr reden hat können, gestöhnt und sich am Tresen festgehalten und zum Wachwerden eine Bloody Mary bestellt.

In die Maxvorstadt sind sie einigermaßen schadlos gekommen, abgesehen von ein paar blöden Nasen auf der Leopoldstraße, die gefragt haben, ob sie die streikenden Busfahrer seien und ob es nicht besser wäre, selber zu streiken, statt ohne Fahrzeug auf der Busspur herumzutorkeln, sowie zwei Polizisten, die gemeint haben, in diesem Zustand sei auch das Zufußgehen verboten. Der Hubsi hat die Sache mit dem Treck erläutert, und da haben sie gesagt, sie sollten nur so schnell wie möglich aus ihrem Revier verschwinden.

Am Odeonsplatz ist es hell geworden, und der Jackie hat gemeint, es sei am ratsamsten, ein Radl zu klauen, weil er nicht mehr gehen könne, aber der Hubsi hat gesagt, das verstoße gegen die Tradition, weil es vor 200 Jahren noch kein Radl gegeben habe, außerdem sei es verboten, und er wolle keinesfalls den Anstich in irgendeiner Ausnüchterungszelle verbringen. Also sind sie irgendwie durch die Fußgängerzone hindurch und zum Sendlinger Tor, wo der Hubsi gesagt hat, es sei Zeit für ein Frühstück und die restliche Strecke an einem Tag locker zu schaffen.

Wie sie aus dem Pimpernel wieder herausgetorkelt sind, haben die zwei Amitouristinnen gemeint, sie wollten lieber erst ins Hotel und sich frischmachen, aber der Hubsi hat gesagt, auf dem weiteren Treck nach Westen gebe es noch einige Außenposten. Also sind sie bis Sonnenuntergang die Lindwurmstraße entlang und ein paarmal eingekehrt, dann ist der einen Amerikanerin schlecht geworden von den Weißwürsten und dem Lebkuchenherz, und die zweite hat am Goetheplatz ihre Schuhe verloren und nach ihrer Mama geheult. Der Jackie hat sie im Fischerstüberl so lange getröstet, bis sie unter den Tisch gerutscht ist, dann ist er selber runter und irgendwann wieder aufgewacht und hat gemerkt, er ist allein.

Immerhin hat er den Hubsi wiedergefunden, der in einem Gebüsch vor der Uniklinik herumgekrochen ist, und gesagt, der Hase sei nach sechs oder acht Stunden bestimmt nicht mehr da drin am Kotzen und zur Wiesn seien es nur noch 200 Meter.

Da haben sie sogar schon was gerochen und aus der Ferne was gehört, was der Einzug der Wirte hätte sein können, aber leider sind sie dann falsch abgebogen, am späten Vormittag am Bahnhof gelandet, noch einmal falsch abgebogen und weitergezogen, und wie sie endlich wieder beim Renato angekommen sind und der noch größere Augen gemacht hat als am Donnerstag, hat der Jackie nicht mehr gewusst, ob es jetzt schon hell oder noch dunkel ist oder umgekehrt, und nur noch händisch ein Bier bestellen können, und der Hubsi hat gesagt, dieser ganze Zirkus mit diesem Oktoberfest gehe ihm schon seit 200 Jahren auf den Sack, und dann ist es jedenfalls dunkel geworden und ziemlich lange geblieben.

MICHAEL SAILER