Wildlife mit Häppchen vom Büffel

Heia Safari! Aber geben Sie Obacht: Es kann durchaus passieren, dass Sie von einem Hippopotamus aus dem Pool eines italienischen Grafen verdrängt werden. Oder dass Ihnen in Chicago ein Nashorn quer durchs Schlafzimmer stampft

von ROLAND F. KARL

Dass Besucher in Nairobi prominenten Weltbürgern begegnen, ist möglich. Vielleicht Harry Belafonte, der sich als UN-Sonderbotschafter schon mal einen Überblick über den Verarmungszustand kenianischer Kinder in den hauptstädtischen Slums verschafft. Oder dem Schauspieler Sidede Onyulo, bekannt aus „Nirgendwo in Afrika“, der im Edelrestaurant Carnivore gerade auf Holzkohle geröstete Häppchen von Büffel, Antilope und Krokodil verspeist. Wir sind hier, um letztere live zu sehen.

Am nächsten Morgen ist die gebuchte Safari Link Airline im Wirrwarr lokaler Anbieter auf Nairobis Domestic Airport nur schwer zu finden. Auf dem Weg zum Flugfeld erheitern sich die Gemüter, weil die Cessna Caravan glücklicherweise einen fitten Eindruck macht, ganz wie der Pilot. Nach gut einer Stunde über endlosen Savannen eine Landung im Nirgendwo. Welcome to Loisaba. Das private Schutzgebiet des italienischen Stahlmagnaten Graf Carlo Ancilotto aus Treviso ist halb so groß wie der Bodensee, die Luxuslodge mit dem besonderen Ambiente, Tania Blixen lässt grüßen, ruht wie ein Adlernest auf einem Hügel. Pech für den Grafen: Als der 1976 auf seiner frisch erstandenen Besitzung zur Großwildjagd blasen ließ, wurde game hunting von der kenianischen Regierung gerade verboten. Was tun, wenn man ein Vermögen in Wildnis investiert hat? Heute reisen Gäste, die über vierhundert Dollar pro Tag als gut angelegt betrachten, zur Fotopirsch an. Es kommen nicht viele, weshalb die Lodge mit nur sieben Zimmern auskommt. „More of a dream than a holiday“ trug ein globalerfahrener Romantiker aus Bermuda ins Gästebuch ein und „what a majestic beauty!“. Frühmorgens stiehlt Mount Kenya Giraffen, Elefanten und Leoparden die Show. Für einen kurzen Moment, bevor der 5.199 Meter hohe schnee- und eisversiegelte Gigant im Dunst der aufgehenden Sonne vom Horizont wieder verschwindet. Schon brummt die Cessna zur nächsten Wildnis. Unten Savannen, dann und wann von grüngesäumten Flussläufen durchzogen, friedlich grasende Tiere als schwarze Pünktchen, das Fernglas entziffert Elefanten, Giraffen und riesige Gnuherden.

Irgendwo inmitten der riesigen Massai Mara Reserve (dreimal der Bodensee) geht die Einmotorige runter. Ein einsamer Landrover steht neben dem Schild „Kichwa Tembo“. Ein Pärchen klettert heraus und in die Cessna hinein. „Next stop Chicago“ stellt sich Bob aus Florida vor, während die Maschine schon wieder abhebt, und zählt auf: „elephant, kudu, gazelles, giraffe, leopard, buffalo, cheetah, and lion“. Kein Nashorn? „Nope!“ No rhino. „Kichwa,“ sagt Bob, „is a great place to be.“ Für 340 Dollar. Pro Nacht, pro Person. Im Zelt? Das sei noch gar nichts, weiß Bob. „Cottar’s 1920 Camp“, gehobene Klasse, liste Preise ab 550 aufwärts.

Diesmal warten auch auf uns Zelte. Rund hundertfünfzig Safarigäste drängeln sich zur Lunchtime am Buffet. Der nachmittägliche Game-Drive gestaltet sich nur unwesentlich anders: Zwanzig Safaribusse nehmen zwei Geparden in die Zange, die sich gelangweilt im Sonnenschein räkeln, während zwanzig Wagenlenker versuchen, die für ihre Insassen beste Fotoposition zu ergattern.

Klack, klack, klack sagen jedes Mal die Apparate. Für die Busfahrer der Wildnis der übliche Auftrag: Je mehr tierische Models sie im hohen Savannengras finden, umso glücklicher ihre Klienten. Abends wird es am Feuer romantisch. „Wir haben sogar einen Night-Manager“, lächelt Bobby, der Fährtensucher, und rollt bedeutungsvoll die Pupillen, „für Notfälle. Falls mal ein Nashorn durchs Zimmer läuft!“ Die Gruppe lacht; abwegig ist das nicht. Auf dem Fuße folgt die Geschichte, wie nahe der Lodge ein drei Tonnen schweres Nilpferd aus dem Fluss stieg, bis ins Camp marschierte, das aufgebaute Luxus-Buffet mit dem Hintern abräumte, um sich dann zum Entsetzen der Dinnergäste im Swimmingpool zu versenken. Nach dem Abendessen warnt eine Durchsage die Gäste aus Nummer 8 und 9 dringend davor, ihre Rundbungalows aufzusuchen. Aufgeregt drängelt sich das Publikum an der Rezeption, wo Ranger mit schussbereiten Gewehren bereitstehen. Vor Nummer 8 seien Löwen gesichtet, erklärt einer. Bis zu zwanzig könnten das sein. „Die tun aber nichts“, beschwichtigt ein anderer, „wirklich gefährlich werden nur Flusspferde, Büffel und Rhinos“. Die meisten Gäste verbringen die Nacht in der Bar, auch nach Abzug der Löwen.

Rhinos sind kurzsichtig, erklärt ein Massai-Wildlife-Experte am nächsten Morgen, während der Safari-Jeep auf Löwenpirsch geht. „Sie sind unberechenbar. Die können jederzeit angreifen“, sagt er. Wenn Löwen das tun, spurten sie 50 Stundenkilometer schnell und springen 12 Meter weit. Bis auf drei Meter Körperlänge wachsen die Riesenkatzen. „Erst fressen sie von ihren Opfern die Eingeweide“, informiert uns der furchtlose Massai-Krieger, „dann arbeiten sie sich vom Hinterteil zum Kopf vor.“

Für heute sind die Safarigäste jedenfalls froh, dass ihr video- und fotobehängter Trupp nicht auf ein Löwenrudel trifft. Am nächsten Tag ist ein „Bush Walk“ angesetzt: Es geht zu Fuß durch die Savanne. Unsere Massai, nur mit Speeren bewaffnet, riechen Nashörner. Irgendwo dort, flüstern sie, im hohen Gras. Die Gruppe soll im Gänsemarsch hinter den Spezialisten herschleichen. Nummer drei tritt auf einen Zweig, der knackend zerbricht. In gleicher Sekunde taucht aus der Unterwelt der wahrhaftige Teufel auf, in Form eines Rhinozerosses, dessen Kalb im Halbkreis davonstiebt. Mama schnaubend und stampfend hinterher. Beherzte aus der Gruppe reißen reflexartig ihre Kameras hoch, lassen sie aber gleich wieder sinken, als sich im Sucher abbildet, wie der kleine Klops abrupt stoppt, sich dann blitzschnell entscheidet, mit einem Haken zu wenden, um dann geradewegs wieder zurück auf die entsetzte Gruppe zuzurasen, seinen mütterlichen Aufpasser, nun vollends wild geworden, dicht im Gefolge. Obwohl der Gruppe vorher für diesen Fall der Fälle eingeschärft war, dicht zusammen zu bleiben, machen sich ihre Mitglieder, vom fleischgewordenen Horror getrieben, in alle Richtungen davon, während Mutter und Kind mitten durch die gerade frei gewordene Bresche galoppieren, geradeaus in die freie Savanne.

Am Nachmittag ein Massai-Dorf, es ist sehr authentisch. Eintritt: fünfzehn Dollar. Die Massai tragen ihre Trachten und tanzen auf dem Dorfplatz, der mit angetrocknetem Kuhmist dickschichtig bedeckt ist. Dung-und-Lehm-Hütten reihen sich um die fußballfeldgroße Fläche. „Wenn das hier mal regnet“, sagt einer, bevor er auf den Auslöser drückt. In eine Hütte müssen die Besucher, um zu sehen, wie es dort ist: dunkel und eng. Unser Maissai-Führer lädt ein in die Boma. Das ist ein offener Platz, in der Mitte lodert ein Feuer. Ringsum dunkle Savanne. Die Massai tragen ihre Trachten und tanzen um das Feuer. Zum luxuriösen Buffet brüllt tatsächlich ein Löwe. Das ist die Wildnis. Ängstlichen Fragern versichert James Saruni Ole Tira, unser Ober-Massai, der König der Tiere, der draußen so brüllt, sei keine Gefahr. Weil noch einen Kilometer weit weg.

Dann erzählt James von den Kühen dieser Welt, die nur den Massai gehörten, und sonst niemandem. Auch unsere hochsubventionierten in Europa? Sicher doch; Schweizer, Allgäuer, Holsteiner, alle wurden seinem Volk vor langer Zeit gestohlen. Die Massai als global cow player. James lacht. Rinder sind wichtig. Sechs bringen eine Frau. Wenn ein stolzer Krieger wie er auf die Vielehe steht, braucht es Vieh. Ob den Massai-Kriegern ihre Nähe zum Tourismus Identität kostet? James, der sich, wie viele seiner Stammesbrüder, seinen christlichen Namen nur „geborgt“ hat, sagt: „Schaut her: So sieht ein echter Massai aus! Hier ist mein Speer, und ab morgen werde ich wieder warmes Rinderblut frühstücken.“ Zum Löwengebrüll draußen legt er sein breitestes Grinsen aufs wilde Gesicht, und macht uns den ängstlichen Franzosen.