Anwältin für Frauenrechte gibt auf

Wegen einer „akuten Bedrohungssituation“ hat die namhafte Berliner Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateș ihre Zulassung zurückgegeben. „Es gibt Sicherheitsprobleme“, bestätigen Kolleginnen, die ebenfalls Migrantinnen verteidigen

VON A. LEHMANN, H. OESTREICH
UND C. SCHMITT

Sie hat gekämpft, argumentiert und gestritten. Für das Recht jeder Frau, ihren Ehemann und ihre Lebensform selbst zu wählen. Seyran Ateș ist eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Landes. Die Strafrechtlerin hat vor allem Migrantinnen vor Gericht vertreten. Jetzt aber ist die renommierte türkischstämmige Anwältin keine Anwältin mehr. Ateș gab ihre Zulassung zurück. Ihre Kanzlei hat sie aufgelöst. Auch ihren Mitgliedsausweis bei Terre des Femmes gab sie zum großen Erstaunen der Organisation zurück.

Ateș wollte sich gestern auf Anfrage der taz nicht äußern. Auf ihrer Homepage begründet sie den Rückzug mit einer „akuten Bedrohungssituation“, die ihr „wieder mal allzu deutlich vor Augen geführt“ habe, „wie gefährlich die Arbeit als Rechtsanwältin war und wie wenig ich als Einzelperson geschützt war und bin“.

Etwas genauer erklärte sie die Hintergründe ihrer Entscheidung am Donnerstagabend, als sie Gast bei einer Podiumsdiskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung zu „Herausforderungen der Integration“ war. „Ich wurde bei Scheidungsverfahren mehrfach tätlich angegriffen“, sagte sie. Im Sommer sei sie zusammengeschlagen worden. Auch danach hätte die Gewalt nicht aufgehört. Es ist nicht das erste Mal, dass Ateș um ihr Leben fürchten musste. Bereits 1984 überlebte sie schwer verletzt ein Attentat. In den vergangenen Jahren wurde Ateș immer wieder angefeindet. Auf ihrer Homepage spricht sie von einer „Bedrohung durch die Verfahrensgegner“ ihrer Klientinnen.

Ateș will die Abgabe ihrer Zulassung aber nur als Teilrückzug verstanden wissen. Sie wolle „nicht mehr am Einzelfall“ arbeiten, aber weiterhin politisch aktiv sein und Vorträge halten.

Ateș ist eine der zentralen Figuren, denen es zu verdanken ist, dass die schwierige Situation vieler Migrantinnen heute überhaupt stärker im öffentlichen Bewusstsein präsent ist. Seit Jahren bezieht sie Position zu Zwangsheirat und Ehrenmord. Sie kämpft gegen das Tragen von Kopftüchern und gegen Politiker, die die Unterdrückung von Frauen als vermeintlicher Teil einer anderen Kultur hinnehmen.

Ihre Aussagen haben auch deshalb Autorität, weil sie als Anwältin tagtäglich mit den Nöten ihrer Klientinnen konfrontiert ist – sie kennt die Lebenswelt derer, über die sie spricht. So meint sie, derzeit im Migrantenmilieu eine Zunahme der Gewalt wahrzunehmen. Dies werde jedoch kaum thematisiert: „Es gibt große Angst, offen darüber zu sprechen, die auch mit der Angst vor Stigmatisierung zu tun hat“, sagte sie auf dem Podium der Adenauer-Stiftung. Sie habe das Gefühl, ihre Meinung nicht offen sagen zu können: „Wer kritisiert, wird gleich als Islamfeind betrachtet.“ Mit dem Islam habe das aber wenig zu tun, auch andere Religionen seien wenig frauenfreundlich. Eher seien soziale Frustrationen die Ursache. „Die Männer verlieren ihre Rolle als Ernährer, und sie müssen erleben, dass Frauen besser und erfolgreicher schon in der Schule sind. Die letzte Bastion der Männlichkeit ist Gewalt.“

Dass nun gerade diese energische Vorkämpferin für Frauenrechte ihre Anwaltstätigkeit aufgibt, wirft nicht nur viele Fragen auf. Es lässt auch erahnen, dass abseits des Einzelfalls ein grundsätzliches Problem besteht.

Kann eine Rechtsanwältin in Deutschland nicht Rechtsanwältin sein, ohne um ihr Leben zu fürchten? Stimmt Ateș’ Wahrnehmung, sie sei als Einzelperson nicht genügend geschützt? „Es gibt Sicherheitsprobleme“, bestätigt die Anwältin Regina Kalthegener, die ebenfalls an Prozessen über Ehrverbrechen beteiligt ist. „Die Bedrohungssituation bei patriarchalen Familienproblematiken wird nicht immer richtig realisiert. Auch die Beratungsstellen sind wenig geschützt.“ Kalthegener sieht hier Handlungsbedarf: „Konzepte für eine Zusammenarbeit zwischen Beratungen und Polizei gibt es bisher nicht überall.“

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