nebensachen aus moskau
: Schöner leben mit Diebesgut aus der Asservatenkammer

Die Ankündigung klingt jedes Mal wie eine Siegesmeldung. Als hätte Russland gerade eine schwere Schlacht gewonnen und kostbare Kriegstrophäen erbeutet. „Ein weiteres entwendetes Kunstwerk aus dem Fundus der Eremitage konnte gestern von Ermittlern sichergestellt werden“, triumphieren Nachrichtensprecher. Ganz Russland fiebert nach heißer Ware. Das zumindest vermitteln staatliche Medien. Nach einer Revision in der Abteilung Russische Kultur im glanzvollsten Musentempel musste die Leitung der Eremitage Ende Juli feststellen, dass 221 Objekte im Wert von mindestens fünf Millionen Dollar verschwanden. Das löste einen nationalen Skandal aus.

Inzwischen haben sich 21 Kunstwerke wieder angefunden. Zuletzt tauchte eine Ikone mit Kerzenhalter in einem Mülleimer nahe dem Hauptquartier des Petersburger Geheimdienstes auf. Davor hatten Fahnder in einem Schließfach am Finnischen Bahnhof ein Silberkreuz nebst Inventarnummer von 1760 entdeckt. Auch in Moskau meldete sich ein reuiger Antiquitätenhändler. Den Besitzern der Hehlerware wird es langsam zu heiß. Kein Wunder. Denn der Kunstraub in der Eremitage nagt am nationalen Prestige und lässt auch den Kreml nicht ruhen. Präsident Wladimir Putin schaltete sich ein und ordnete eine Inventarisierung aller Kulturgüter in russischen Museen an. Beim jetzigen Tempo, schätzt das Kulturministerium, dürfte das Vorhaben in 70 Jahren erledigt sein.

Die Eremitage zögerte lange, bevor sie sich mit der Verlustmeldung an die Öffentlichkeit wagte. Die Revision läuft seit Herbst 2005. Interne Ermittlungen ließen den Kreis der Verdächtigen schrumpfen. Nur vier Mitarbeiter hatten Zugang zur Asservatenkammer. Just in dem Moment, als die Inventarisierung begann, erlag die Kuratorin der bestohlenen Sektion einem Herzinfarkt. Die Polizei überführte Ehemann und Sohn der Hehlerei.

Das Image der selbstlosen Kulturhüter, die rund 300 Euro im Monat verdienen, ist angeschlagen. Ohnehin entsprach es nicht ganz der Realität in einer Gesellschaft, die dem Goldrausch erlegen ist. Kulturverantwortliche haben schon früher darauf hingewiesen, dass Diebstähle der Mitarbeiter ein großes Problem seien, die Kuratoren sich vielerorts in ihrem Haus wie in „Selbstbedienungsläden“ aufführten.

Prompt meldete sich auch das Staatsarchiv für Literatur und Kunst in Moskau, aus dessen Speichern 2.000 Bilder des Avantgarde-Architekten und -Malers Jakow Tschernikow verschwunden sind. 270 fand man bei russischen Händlern, 9 Werke sollten schon bei Christie’s in London versteigert werden. Der geschätzte Marktwert im Westen geht in die zig Millionen Euro.

Nur die Spitze des Eisbergs sei bekannt, klagen Fachleute. Geringe Sicherheitsvorkehrungen und mangelnde Inventarisierung leisteten illegalem Handel Vorschub. Von den 3 Millionen Objekten der Eremitage wurden seit 1999 erst 170.000 elektronisch erfasst. Von den meisten Exponaten gibt es auch keine Fotos. Das, so fürchtet der Rechnungshof, fördert ein „System, in dem die Schätze gestohlen und durch Kopien ersetzt werden“ – in hauseigenen Werkstätten.

Ein Trend, den Kulturwächter auch noch ausgemacht haben wollen: Vor allem in der Provinz greift die politische Elite gern mal auf den Fundus der Heimatmuseen zurück, um das eigene Domizil standesgemäß auszustatten. Entleihungen auf Lebenszeit sozusagen. KLAUS-HELGE DONATH