Schausteller unterwegs

Das von Russland und der Schweiz aus vermarktete Testspiel zwischen Argentinien und Brasilien in Arsenals neuem Stadion erweist sich als überaus gutes Geschäft

LONDON taz ■ Die WM ist vorbei, am Sonntag fing die Zukunft an. Für das immer noch von sich selbst enttäuschte Argentinien und Trainer-Brummbär Alfio Basile, für das wiederbelebte Brasilien unter dem neuen Chef Carlos Dunga – und vor allem für den internationalen Fußball selbst. Die beiden südamerikanischen Giganten spielten im neuen, von einer arabischen Fluglinie gesponserten Stadion im Norden Londons, organisiert und vermarktet von Sportagenturen aus Russland und der Schweiz. Ostentativ wurden zwei neue Mannschaften getestet, in Wahrheit stand natürlich ein Geschäftsmodell auf der Probe. Es war ein Erfolg. Das Stadion war mit 59.000 Zuschauern fast ausverkauft, 6 Millionen Euro sollen die Fernsehrechte eingebracht haben. So lukrativ geht es weiter, schon heute Abend: Die brasilianischen Schausteller reisen ein paar Meilen weiter nordöstlich, um in Tottenhams White-Hart-Lane-Stadion die Waliser Auswahl vorzuführen.

Die letzte Bastion des vormodernen, von lokalen und nationalen Akteuren bestimmten Fußballs ist damit gefallen. Internationale Geldströme bestimmen nun auch hier Gegner, Spielorte und Personal. Die Verbände leiden seit Jahren unter der Macht der mit Fernseh- und Sponsorengeldern gemästeten Vereine. Mit dem aggressiven Verkauf von Freundschaftsspielen holen sie sich Millionen und Macht zurück. Eine Art virtuelles Match war das also in London, irgendwie unwirklich. Die überwiegend in den brasilianischen Farben erschienenen Zuschauer machten einen Riesenradau, sie fotografierten sich gegenseitig, beklatschten jeden Einwechselspieler und kreischten den verletzt auf der Tribüne sitzenden Ronaldinho an – nur das Spiel lief sonderbarerweise an ihnen vorbei. Real Madrids Stürmer Robinho machte nahezu unbeachtet die neu formierte Abwehr der Albiceleste verrückt; bei aller Rivalität schien sich niemand so recht für das Ergebnis zu interessieren. Die Partie plätscherte nicht vor sich hin – sie tropfte von Minute zu Minute immer mehr aus. Wie ein leckes Ei.

Ein bisschen was war trotzdem drin. Es gab ein paar hübsche Torchancen, insbesondere für die einigermaßen spielfreudigen Brasilianer. Die Argentinier traten komplett unorganisiert an – und jeder für sich. Wunderkind Lionel Messi und der neue West-Ham-Stürmer Carlos Tévez dribbelten ab und an mit dem Kopf nach unten Richtung Strafraum, dort prallten sie an einem Baumstamm namens Lucio ab. Es wurde ein bisschen getreten und schmutzig gefoult, richtig giftig wurde das Match wegen der Überlegenheit der Brasilianer nie. Ein gewisser Elano, Stürmer von Schachtar Donezk in der Ukraine, machte in Vertretung von Adriano und Ronaldo zwei Tore (3. und 67.); der spät eingewechselte Kaká traf nach einem beachtlichen Solo zum 3:0-Endstand. Und das war es.

Wortlos schlenderten die Argentinier nach der Blamage in den Bus. Man wusste nicht, ob sie beschämt oder nur gelangweilt waren. „Coco“ Basile bat währenddessen für Gelassenheit. „Wir hatten nur 48 Stunden zusammen“, knurrte der Trainer, „es dauert, taktische Probleme abzustellen.“ Dem nicht berücksichtigten Kapitän Juan Pablo Sorín wollte er keine Garantie aussprechen. „Er hat wie jeder die Chance, sich in die Mannschaft zu spielen“, sagte Basile, bevor er die Presskonferenz eigenmächtig mit einem lauten „No more!“ beendete.

Gesprächiger waren die Sieger. Das in der Bundesliga beschäftigte Abwehrduo Juan und Lucio sprach übereinstimmend von „mehr Spaß“ unter Dunga; der Leverkusener erklärte, man würde im Training sehr viel mehr tun und Dunga würde „viel reden“. Cool saß der ehemalige Stuttgarter auf dem Podest, nur einmal musste er laut werden, als jemand wissen wollte, ob Kaká nun öfters auf der Bank sitzen müsse. „Ich bitte alle Fans und Journalisten um ihre Unterstützung“, sagte er mit Nachdruck, „hacken sie uns nicht die Beine ab, bevor wir begonnen haben.“ RAPHAEL HONIGSTEIN