Ein Gauredner in Finkenwerder Tracht

Morgen begeht die Finkwarder Speeldeel ihr 100-jähriges Jubiläum. Bei Festumzug und Konzert verdrängt die Folkloregruppe die Erinnerung an ihren Mitbegründer Hinrich Wriede. Denn der war als Gauredner und SA-Mann tief in die NS-Maschinerie verstrickt

von Philipp Ratfisch

Fröhlich sehen sie aus, die Männer und Frauen der Finkwarder Speeldeel in ihren norddeutschen Trachten. Morgen begeht die einst als plattdeutsches Laientheater gegründete Tanz- und Gesangsgruppe ihr hundertjähriges Bestehen. Auch die Festivitäten kündigen sich fröhlich an: Konzerte, Tanz und ein Festumzug sind geplant, „um Finkenwerder erstrahlen zu lassen“, wie es in einer Broschüre heißt – die schöne Welt des ehemaligen Fischerdorfes.

Ganz so sonnig, wie es scheint, ist die Geschichte der Speeldeel allerdings nicht. Über die Harmonie der Festtage gerät in Vergessenheit, dass 1906 ein Mann die Gruppe mit gründete, der später überzeugter Anhänger der Nationalsozialisten wurde: Hinrich Wriede. „Es gab eine Reihe von Leuten, die mir das Leben damals schwer machten“, schreibt Hans J. Massaquoi in seiner Autobiographie „Neger, Neger, Schornsteinfeger!“, „aber am erbarmungslosesten und grausamsten von allen war eindeutig Herr Hinrich Wriede, unser neuer Schulleiter.“ Massaquoi, farbiger Sohn eines Schwarzafrikaners und einer Deutschen, verarbeitet in dem 1999 erschienenen Buch seine Kindheit in Nazi-Deutschland. Wriede schildert er als rassistischen Despoten, der ihn wegen seiner dunklen Hautfarbe als persönlichen Feind auserkoren habe und der sich in ideologischen Ausschweifungen verlor. „Der Führer wird dafür sorgen“, zitiert ihn der damals zwölfjährige Massaquoi, „dass Deutschland nie wieder zu einer Zufluchtstätte für verräterisches Gesindel wie Juden, Neger und andere Außenseiter wird.“

„Wriede war Gauredner und soll im NS-Lehrerbund stark nationalsozialistische gefärbte Vorträge gehalten haben“, bestätigt Holger Martens. Der Historiker hat sich im Zuge seiner Recherchen mit der Finkenwerder Künstlerszene auch mit Wriede beschäftigt. 1933 kam er demnach als Schulleiter an Massaquois Schule in Barmbek, der Käthnerkampschule. Bereits im selben Jahr, kurz nach der Machtergreifung Hitlers, sei Wriede in die NSDAP eingetreten, so Martens. 1937 wurde er Mitglied der SA, wo er binnen eines Jahres bis zum Scharführer aufstieg.

Neben der NS-Ideologie fühlte sich der Träger des Goldenen Parteiabzeichens vor allem einem verpflichtet: Der Förderung der niederdeutschen Sprache.

Als Wriede 1882 auf Finkenwerder geboren wurde, war das ein von der Industrialisierung noch weitgehend unberührtes Eiland. Hier begann der spätere Grundschullehrer mit dem Schreiben plattdeutscher Theaterstücke. 1906 gründete er dann gemeinsam mit dem befreundeten Schriftsteller Gorch Fock die Theatergruppe Finkwarder Speeldeel.

Was Wriede zu den Nationalsozialisten trieb? Martens vermutet, dass der Heimatdichter schon 1918, als die Deutsche Werft gegründet wurde, sein heimatliches Idyll in Gefahr sah. Den Zuzug der Arbeiter habe er als „Überfremdung“ empfunden. Angesichts des Niedergangs der traditionellen Fischerei, so der Historiker, hätten sich die beiden Heimatdichter Fock und Wriede „der guten alten Zeit verschrieben“.

Bei der heutigen Speeldeel erinnert man sich ungern an Wriede. „Er war nur zufällig unser Gründer“, meint Christa Albershardt, Vorsitzende des Vereins. „Das hat mit der Speeldeel absolut nichts zu tun.“ Um so schwieriger ist es nachzuvollziehen, warum die Gruppe Wriede noch 1956 die „Ehrenspeelboos“-Würde verlieh. „Vielleicht ist man leichtfertig damit umgegangen“, meint Albershardt, vielleicht habe man aber auch gar nichts von Wriedes dunkler Vergangenheit gewusst, der 1930 aus Finkenwerder nach Hamburg umzog. Die Finkenwarder Speeldeel hatte sich damals schon aufgelöst, erst 1936 gründete sie sich neu.

Für Friedrich W. Michelsen, lange Zeit Herausgeber der plattdeutschen Zeitschrift „Quickborn“, ist das kein Grund, sich nicht mehr der NS-Verstrickung Wriedes auseinander zu setzen. „So sagt man gerne in niederdeutschen Kreisen, wenn man diese Verbindungen nicht wahrhaben will“. Innerhalb der Speeldeel „gab es viele, die Teil der Parteigliederungen waren“, so der Professor für Bibliothekswesen.

Doch Albershardt wehrt ab: „Die Speeldeel war nie politisch.“ Aufarbeiten will sie die Geschichte des Vereins nicht. „Wir haben mit ganz jungen Leuten zu tun“, verweist die Vorsitzende auf die neueren Mitglieder. „Die können damit doch gar nichts anfangen.“ Auch während der Festtage will sie Wriede nicht erwähnen: „Wir wollen jetzt einfach feiern“, so Albershardt. „Ich finde, da muss man nicht in negativen Töpfen rühren.“