Vom Bilderhändler zum Datensammler

ZUGANG Die Fotoagentur Getty Images stellt online 35 Millionen Werke zur freien Verfügung. Warum?

„Wenn es um das Urheberrecht geht, dann hat Deutschland was von Nordkorea“, kommentierte ein Facebook-Nutzer kürzlich zu einem kleinen Bilderrechtsstreit. Wenn Musikvideos auf YouTube gesperrt oder wenn wegen des „bloßen“ Hochladens eines fremden Fotos auf Facebook eine Abmahnung ins Haus flattert, entlädt sich hierzulande die Wut schnell gegen die Kreativindustrie. Und die passt sich nun den neuen Nutzungsgewohnheiten an. So scheint es zumindest.

Das Prinzip YouTube

Getty Images, der größte Fotoanbieter der Welt, hat vergangene Woche etwa 35 Millionen professionelle Bilder aus seinen Archiven zur nicht-kommerziellen und redaktionellen Online-Nutzung freigegeben. Einzige Bedingung ist, dass dafür – ähnlich wie bei YouTube-Videos – eine von Getty Images vorgegebene Einbettungsfunktion (Embed Code) benutzt wird.

Durch die Entstehung des Web 2.0 ist fast jeder Mensch zum Autoren, Produzenten und Verleger mit eigener Reichweite geworden. Inzwischen berichten von diversen Events etliche Blogger. Das Aufkommen von sogenanntem Bürgerjournalismus hat nachhaltig zu einer Gewichteverschiebung, aber auch Demokratisierung der Medienlandschaft geführt. Mit dieser Wende geht für Agenturen einher, dass sie nicht mehr nur Geschäftskunden zu bedienen haben, sondern auch kleine Privatkunden.

Das bringt Probleme mit sich: Während Verlage sich Rechtsabteilungen und Justiziare leisten können, kommt es bei kleinen Verwertern aus mangelndem Fachwissen oft zu groben Fehlern – und zu Forderungen der Rechteinhaber, die Existenzen kaputtmachen könnten.

Getty reagiere mit seinem Schritt der Öffnung also nur auf die Bedürfnisse der kleinen Verwerter, teilt die Agentur mit.

Komplett altruistisch ist der Schritt in den sogenannten Business-to-Consumer-Markt allerdings nicht: Denn die Embed-Funktion erlaubt es Getty Images auch, Daten über die Seiten zu sammeln, auf denen die eigenen Bilder eingebaut sind. So kann das Unternehmen zum Beispiel personalisierte Werbung im Embed-Player schalten. Bereits wird spekuliert, ob Getty Images, das erst 2012 für 3,3 Milliarden US-Dollar den Besitzer wechselte, demnächst von dem Datenkraken Google aufgekauft wird.

Der strategische Schritt des Fotoriesen verdeutlicht die Wucht des Wandels in einer zunehmend digitalisierten Medienlandschaft: Aus der demokratischen Informationsfreiheit ist die sogenannte Kostenlosmentalität erwachsen – und die Bereitschaft, für Kultur Geld auszugeben, gesunken.

Zugleich aber werden wir rasant medienbewusster und auch -erfahrener: Noch nie wurden so viele Fotos gemacht wie heute. Täglich werden 55 Millionen Fotos auf Instagram hochgeladen. Die Generation „Z“, oft im Grundschulalter mit Tablets ausgerüstet, lernt es, mit Fotos ihre Gefühle auszudrücken. Der wirtschaftliche Coup wird entsprechend darin liegen, diese visuelle Bildung zu monetarisieren. Getty hat das erkannt. Es ist jedoch kaum abzusehen, wie deren Embed-Funktion ankommt und ob andere Akteure nachziehen.

Was bleibt den Fotografen?

All der Wandel und die damit einhergehenden Umstellungen der Geschäftsmodelle entbinden die großen Medienkonzerne allerdings nicht davon, ihre freien Mitarbeiter fair und angemessen zu vergüten – auch dafür müssen neue Modelle her. So hat Getty Images mit Axel Springer vereinbart, für die Verwendung jedes Fotos eines freien Fotografen in jedem ihrer redaktionellen Publikationen etwa acht US-Dollar (ca. 5,80 Euro) zu zahlen. Daraus ergibt sich für den Fotografen, der oft einen halben Tag für das Foto gearbeitet hat, ein Nettoerlös von zwei US-Dollar: 1,44 Euro. Für Getty Images ist es ein Millionendeal, für die Fotografen nicht.

Ob durch Gettys Wandel ein größeres Stück von der Torte für die FotografInnen übrig bleibt, ist zu bezweifeln – wahrscheinlicher sind es wieder einmal nur Krümel. KAVEH ROSTAMKHANI