Ein tolles Erlebnis

Bei der Fußball-WM der Menschen mit Behinderung kämpft die deutsche Mannschaft um den Gruppensieg – und einige Spieler träumen von der Bundesliga: „Dafür braucht man kein Abitur“

„Ich glaube, solche Spieler können durchaus in der Bundesliga spielen“, meint Co-Trainer Christoph Daum

VON DANIEL THEWELEIT

Ahmet Demir ist ein Mann, der schlecht stillhalten kann. Er trägt die Nummer zehn in der Deutschen Fußballnationalmannschaft der Menschen mit Behinderung, und als das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft angepfiffen war, da wäre eine Kompanie Bodyguards nötig gewesen, um den kleinen Dribbler aufzuhalten. „Er kam auf den Platz und hat wohl gedacht, wenn er hier so wirbelt, bekommt er ein gutes Angebot von einem großen Klub“, scherzte Mannschaftskapitän Guido Skorna, nachdem die Partie gegen Japan vor beachtlichen 20.000 Zuschauern mit 3:0 gewonnen war.

Auf der Trainerbank saß Christoph Daum als Assistent des Bundestrainers Willi Breuer und verkündete: „Ich glaube, solche Spieler können durchaus in der Bundesliga spielen, sie brauchen nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Für die Bundesliga braucht man kein Abitur.“

Und Michael Krüger, der Trainer des Zweitligisten Eintracht Braunschweig, wollte Demir gleich zum Probetraining einladen. Dass dem Fußballer damit ein Gefallen getan wurde, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Denn der 17-Jährige ist jemand, der im Volksmund als verhaltensgestört bezeichnet wird. Für einige Zeit hat er bei Alemannia Aachen in der B-Jugend gespielt, „aber da bin ich rausgeflogen, war zu undiszipliniert“, sagte er frei heraus. „Er mischt jede Mannschaft auf“, hat ein Betreuer einmal erzählt, und wenngleich er beim Sieg gegen die Japaner beeindruckend dribbelte, wirkte er übermotiviert wie einer dieser Jungen auf dem Bolzplatz, die alles alleine machen wollen. Erst als er sein Tor gemacht hatte, wurde er etwas ruhiger.

Demir hat einen IQ unter 75 und ist im Alltag auf Hilfe angewiesen. Dass so jemand sich im Fußballgeschäft durchsetzt, ist kaum vorstellbar. Immerhin gab er in einem Interview demütig an, sein Lebensziel sei ein „geordnetes Leben, nicht arm, nicht reich. Wenn ich nicht heirate, werde ich bei meinen Eltern wohnen bleiben. Und wenn ich 18 bin, will ich den Führerschein machen.“ Aber der Kopf des Jungen dürfte ganz schön rauchen nach dieser ersten WM-Woche.

„Ich beobachte diese Sache mit großer Zurückhaltung“, sagte Bundestrainer Breuer nach dem 0:0 im zweiten Vorrundenspiel gegen die Nordiren. „Aber in der Kommunikation mit dem Jungen bin ich sehr offensiv, der soll nur noch Interviews nach Rücksprache mit uns oder seiner Schwester, die sich ein bisschen um ihn kümmert, geben.“

Keineswegs könne man Demir einfach so in eine Mannschaft nehmen. „Der bräuchte dort einen Betreuer“, sagt Breuer, und diese besondere Zuwendung müsste ein interessierter Klub dann mit ins Innerste des Mannschaftsgefüges hineinlassen. „Die müssten das wirklich wollen“, so der Bundestrainer.

Vorerst kann der Auszubildende, der in einer Behindertenwerkstatt das Malerhandwerk lernt, mit seiner Nationalmannschaft die Faszination des großen Fußballs schnuppern. Bei der Partie gegen Nordirland im engen Lippstädter Stadion am Waldschlösschen waren 5.000 Zuschauer, es war voll, die Leute sangen, „wieder ein tolles Erlebnis für die Jungs“, sagt Breuer. Am kommenden Donnerstag steht dann das letzte Vorrundenspiel bevor, gegen Russland in Bielefeld, in dem es um den Gruppensieg geht (12.00 Uhr live im WDR). Und der sei „sehr, sehr wichtig“, sagt Breuer, denn nur so könne man Titelverteidiger England aus dem Weg gehen. Dort spielt tatsächlich ein Spieler, der einen Vertrag bei einem Klub in der dritthöchsten englischen Liga besitzt.