Pogrom im Norden Russlands

Nach einer tödlichen Schlägerei in einer Kneipe macht eine aufgebrachte Menge in der Kleinstadt Kondopoga Jagd auf kaukasische Bürger. Die Miliz sieht tatenlos zu

MOSKAU taz ■ Kondopoga war ein verschlafenes Nest, Angler und Moskitos fühlten sich in der karelischen Kleinstadt in der Nähe der finnischen Grenze besonders wohl. Seit letzter Woche wütet ein aufgebrachter Mob in der 40.000-Seelen-Gemeinde am Onega-See, Europas zweitgrößtem Binnengewässer. Dem war eine Messerstecherei zwischen ethnischen Russen und Kaukasiern vorausgegangen, bei der zwei Russen zu Tode kamen.

Angefangen hatte alles im Lokal Tschaika. Angeheiterte Jugendliche, mit zum Teil beeindruckender krimineller Vergangenheit, beleidigten den aus Aserbaidschan stammenden Barmann. Nach Berichten von Wremja Nowostej versuchte der Aseri den Konflikt friedlich zu lösen. Als dies nicht fruchtete, rief er Freunde zu Hilfe. Tschetschenen und Aseris rückten in drei Autos an, mit Messern und Baseballschlägern bewaffnet. Die Bilanz: zwei Tote, mehrere Verletzte und ein aufgeheizter Mob, der seit Sonnabend alles anzündet, was Bürgern aus dem Süden gehört.

Die Miliz reagierte nicht auf den Hilferuf des Restaurants, schaute von weitem zu. Am Sonnabend versammelten sich 2.000 Menschen aus Kondopoga zu einer Demonstration gegen kaukasische Mitbürger. Sie waren Aufforderungen nationalistischer Organisationen gefolgt, die im Internet hetzen: „Auf nach Karelien! Dort werden Russen getötet!“ Als Veranstalter tat sich die „Bewegung gegen illegale Migration“ hervor, hinter der sich eine faschistische Organisation verbirgt. Auch Russlands „SS“ – Slawjanski Sojus –, „der slawische Bund“, klinkte sich ein. Erst Spezialeinheiten des Innenministeriums aus der Hauptstadt Kareliens, Petrosawodsk, sorgten am Sonntag für etwas Ruhe unter der alkoholisierten Menge.

Inzwischen hat die kaukasische Diaspora die Stadt verlassen. Einige mögen sich noch versteckt halten, teilten Polizei und Innenministerium mit. Zu Pogromen kommt es auch in anderen Regionen Russlands häufiger.

In Kondopoga erreichte der Konflikt indes eine neue Qualität: Alle Kaukasier verließen die Stadt fluchtartig und ließen ihr Eigentum zurück. Die Stadt ist gesäubert. Etwa tausend Zugereiste aus dem russischen Süden und den ehemaligen transkaukasischen Republiken waren in der Stadt gemeldet. Die Stadtpolitiker sind bemüht, die Ereignisse als besonders schwere Vorfälle von Hooliganismus und „banaler Kriminalität“ darzustellen.

Rassistische und nationalistische Hintergründe werden grundsätzlich geleugnet. Auch die Strafverfolgungsbehörden, seien es Staatsanwaltschaft oder Gericht, handeln landesweit wider besseres Wissen und folgen den Vorgaben der Politik. Die Täter können meist mit Sympathie bei Miliz und Richtern rechnen.

Der Vorsitzende des Stadtparlaments in Kondopoga nannte „Eigentumskonflikte“ als Anlass der Pogrome. Kareliens Gouverneur, Sergei Katanandow, nahm die Schlägertrupps noch in Schutz: „In der blutigen Schlägerei starben unsere Landsleute, das hat einen gerechten Zorn bei unseren Bürgern hervorgerufen“.

Seit langem rufen erfolgreiche kaukasische Geschäftsleute bei russischen Bevölkerungskreisen Neid und Misstrauen hervor. Die Lebensmittelmärkte, klagen ethnische Russen, seien ausschließlich in der Hand von Kaukasiern. Indirekt wird den Händlern unterstellt, nur dank krimineller Machenschaften erfolgreich zu sein. Da die Kaukasusregion von Kriegen heimgesucht wird und der Kreml das Gebiet entwicklungspolitisch vernachlässigt, suchen immer mehr Bürger aus dem Süden im Norden ein Auskommen und eine Bleibe.

Nationalismus und Rassismus sind in Russland längst hoffähig geworden. Mob und Politik teilen nicht selten die gleiche Auffassung. Selbst Gouverneure schrecken nicht davor zurück, Hetzjagden auf Minderheiten indirekt zu fördern. Die Saat der Intoleranz geht langsam auf. Die Pogrome in Kondopoga sind erst der Anfang, fürchten Beobachter. KLAUS-HELGE DONATH