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Geschichten vom Gehweg

Als Zwei-Mann-Coverband fingen sie auf der Straße an. Heute sind sie zu viert, machen „Gyp-Hop“ und stehen öfter auf der Bühne als auf dem Asphalt. Über den Traumjob Straßenmusiker sprachen wir mit „Ohrbooten“-Sänger Ben

Do, 8. 9., 21.30, Kampnagel, Jarrestraße 20, 7,-/5,- Euro

taz: Straßenmusik stellt man sich etwas traurig vor: Einsamer Barde spielt auf der Klampfe und hofft auf ein paar Cent. Ist das so?

Ben: Hier in Deutschland empfinden Musiker die Straße irgendwie als „No-Go-Area“. Aber in London, Amsterdam oder Barcelona sieht das anders aus. Da wird richtig professionell und viel mehr Musik auf der Straße gemacht. Überhaupt gibt es da mehr Straßenkunst, und die Leute stehen einfach drauf. Beeindruckt war ich auch von Australien. Da hat Straßenmusik überhaupt nichts mit Betteln zu tun, die begreifen das eher als eine Bereicherung des Stadtbildes. In Melbourne zum Beispiel vergibt die Stadt Lizenzen an Leute, die was drauf haben. Je besser du bist, umso besser die Ecke, wo du spielen darfst.

Und wo man spielt ist sicher zentral fürs Geschäft.

Der Platz ist mit das wichtigste. Als ich mit Matze von den Ohrbooten angefangen habe zu spielen, 1999 war das, haben wir uns natürlich erstmal in Kreuzberg auf die Straße gestellt. Da hatten die Leute irgendwie Bock drauf – und am Ende eines Tages hatten wir jeder 100 Mark. Das war damals verdammt viel Geld für uns, und so sind wir dann ständig rausgegangen, wir haben den den ganzen Sommer durchgespielt. Das war wie ein Rausch.

Was habt ihr denn gespielt?

Angefangen haben wir mit Liedern von „Sublime“, das ist so Punk-Ska, geht ziemlich nach vorne. Das ist super, wenn man abends in Kreuzberg in den Bars spielt. Später haben wir unser Set dann erweitert, weil wir auch sonntagmorgens in Cafés spielen wollten. Da sitzen dann aber Leute, die gerade aufgestanden sind und in Ruhe frühstücken wollen. Da kannst du nicht anfangen loszubrüllen, also musst du dich der Atmosphäre anpassen. Wir haben Louis Armstrong gespielt, Manu Chao, Bob Marley, George Michael, sogar Massive Attack. Und viel Reggae. Wenn du auf der Straße Musik machst, musst du die Leute so schnell wie möglich überzeugen. Sehr geholfen hat auch Matzes „Bum-Gitarre“, so haben wir das genannt, wenn er zwischen dem Spiel auf den Saiten, auf dem Körper der Gitarre Beats geklopft hat. Wir haben uns jedenfalls nicht zwischen Karstadt und Hertie gestellt und „The House of the Rising Sun“ gespielt.

Wie wirkt sich denn die Straßenmusik auf eure eigene Musik aus?

Als „Ohrbooten“ sind wir seit 2003 unterwegs. Damals kamen noch Noodt und Onkel dazu. Die kannten die Straße als Bühne noch nicht so und waren erst mal skeptisch. Dann sind wir aber doch mal zusammen losgegangen, und das wurde total geil. Irgendwie kommt man auch immer mit neuen Ideen von so einem Straßengig. Wenn unser Set durch ist und die Leute auf uns abfahren, fängt halt die Jam-Session an, und da enstehen dann Beats oder Hooks, die wir auch für Songs verwenden können.

Was im Studio so nicht passieren würde?

Das passiert auch im Studio, aber auf der Straße ist halt mehr Atmosphäre. Da stehe ich dann umringt von Leuten, und fange an zu freestylen, und sehe richtig in deren Augen, das bei denen gerade ein Licht angeht, die kennen das ja gar nicht, und sind völlig überrascht. Manchmal beziehe ich auch irgendwelche Leute in den Text mit ein. Da entsteht dann schnell etwas, was man hinter Studiowänden so nicht hinkriegen würde.

Spielt ihr heute oder morgen auch mal in Hamburg auf der Straße?

Leider nicht. Das kann man auch nicht so planen. Da muss alles stimmen: Wetter, Leute. Auf der Tour wollen wir mal wieder, aber nach diesem Konzert steht erst mal Urlaub auf dem Programm.FRAGEN: Mathias Becker

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