Unser Leben leben

Party zwischen Krieg und Militärdienst: Clubmusiker aus Tel Aviv spielen heute zum Auftakt von Popdeurope

„Wenn du als Israeli ins Ausland kommst, wirst du immer gleich zum Botschafter deines Landes und musst dich rechtfertigen – egal ob dir die israelische Politik passt oder nicht“, sagt DJ Hummus aus Tel Aviv. Diese automatische Politisierung der Musik aus Israel nervt ihn. Mittlerweile lebt er in Berlin und organisiert von hier aus seine Auftritte in Nachbarländern. Das sei leichter. Heute legt er beim Start des Popdeurope-Festivals, das seinen ersten Abend der Connection Berlin/Tel Aviv widmet, in der Arena auf. Dazu sind Tel Aviver Szenegrößen wie Terry Poison, die Rock mit Elekroclash kombinieren, die Botanika DJs und Jahcoozi, die Reggae mit Grime verquicken, angereist.

Über Politik reden sie alle nicht gerne. Es geht ihnen um ihre Musik und die Szene in Tel Aviv, der Partymetropole des Nahen Ostens. Die alternative Szene dort ist klein. Man kennt sich, ist befreundet und hat keine Hemmungen, zu experimentieren, Punk, Reggae oder Hiphop mit Techno oder arabischem Pop zu kombinieren. Aber ohne den Draht nach Europa geht wenig: In Israel gibt es kein einziges Label für alternative Elektromusik und keine Plattenläden mit frischer Vinylware, erzählt Nadav Ravid von den Botanika DJs, der seine Karriere während seines Wehrdienstes gestartet hat – mit einer Nachtshow beim Armeesender, der größten Radiostation im ganzen Land. Man sei aber ständig auf der Suche nach neuen Sounds, sagt er weiter, und durchforste die Musikszenen der europäischen Hauptstädte, um Neues mit nach Hause zu bringen.

Dummerweise sei es schwierig, außerhalb Israels Jobs zu bekommen, weil der Flug oft teurer ist als die Gage, erklärt DJ Hummus, der auf den größten Raves im Nahen Osten aufgelegt hat, auch während des inzwischen legendären israelischen „Summer of Love“ 1999.

Ein weiterer Nachteil der Europaanbindung ist, dass in Tel Aviv die lokalen Größen hinter die europäischen Stars zurücktreten müssen: Bei Partys legt zur Primetime ein Import-DJ auf. „Es zählt nicht, ob DJs aus Tel Aviv besser sind und die groß angekündigten europäischen DJs enttäuschen“, sagt Nadav. „Die Veranstalter glauben, ohne Headliner aus dem Ausland kriegen sie ihren Laden nicht voll.“ Ohne Import-DJs muss das Nachtleben nur auskommen, wenn die politische Lage gerade wieder einmal angespannt ist.

Das Tel Aviver Publikum gilt unter europäischen DJs als besonders heftig. Hier wird lauter geschrien, intensiver getanzt. DJ Hummus erklärt das damit, dass es viel weniger Clubs gibt als in europäischen Metropolen und das Wochenende nur eineinhalb Tage dauert. Diese Zeit muss optimal genutzt werden. Außerdem müssten alle jungen Leute drei Jahre lang zum Militärdienst, was die Partylust laut DJ Hummus steigert: „Wenn du am Wochenende nach Hause kommst, willst du einfach nur deine Freunde sehen und feiern, gerade wenn du unter der Woche Schlimmes erlebt hast.“ Auch während des Krieges gegen die Hisbollah wurde in Tel Aviv gefeiert. „Bei uns ist der Frieden die Ausnahme, nicht der Krieg“, sagt Oren Gerlitz von Jahcoozi. Natürlich sei es zynisch, zu feiern, während die Stadt voller Flüchtlinge aus dem Norden ist, „aber wir wollen auch unser Leben leben“.

KERSTIN SPECKNER

Popdeurope, 7.–9. 9.: Jahcoozi, Birdy Nam Nam, New Bled Vibrations, Jan Delay, Dani Siciliano u. a.; Badeschiff, Glashaus, Arena, Eichenstr. 4