Die Privatklinik für Arme

Das „Gesundheitszentrum für Obdachlose“ behandelt Hilfsbedürftige kostenlos. Auch Rechtsanwälte und eine Psychologin beraten umsonst. Organisiert wird das Projekt von der Ärztin Jenny De la Torre

von Marlene Wolf

Jan Markowsky ist seit Jahren obdachlos. Wenn sich der 57-Jährige verletzt, dann geht er zu Jenny De la Torre. Als er sich vor sechs Jahren bei einem Fahrradausflug die Hand prellte, lernte er die Ärztin zuerst kennen. Sie richtete ihm den Daumen in ihrer Obdachlosenpraxis am Ostbahnhof – kostenlos. De la Torres Arbeit sei sehr wichtig, sagte Markowsky, denn auf das Sozialamt würde er nicht mehr gehen. „Die gucken nur aufs Geld und nicht auf den Menschen.“ Für Menschen wie Markowsky hat die Jenny-De-la-Torre-Stiftung gestern in der Pflugstraße in Mitte ihr „Gesundheitszentrum für Obdachlose“ eröffnet. Auch hier ist die Behandlung umsonst.

Die Pflugstraße Nummer 12 – eine ehemalige Kita – ist ein alter Backsteinbau mit drei Stockwerken und einem großen Garten. Der Stiftung stehen hier 18 Zimmer zur Verfügung. Neben weiß getünchten Büroräumen gibt es eine Suppenküche und eine Kleiderkammer. In ihrer Praxis kümmert sich De la Torre um Betroffene, in weiteren Zimmern werden voraussichtlich ab kommender Woche mehrere Rechtsanwälte und eine Psychologin Wohnungslose beraten. Übernachtungsplätze gibt es – bisher zumindest – nicht. „Ich hoffe, dass noch die Stellen eines Zahnarztes und mehrerer Arzthelfer finanziert werden“, sagte Jenny De la Torre gestern. Das Geld dafür soll durch Spenden aufgebracht werden.

De la Torre ist die wohl bekannteste Ärztin für Obdachlose in Berlin. In ihrem Heimatort in Peru gab es nicht genügend Ärzte, deswegen wollte sie Medizin studieren, und dafür ging sie nach Deutschland. Doch ihre medizinische Anerkennung in ihrem Heimatland war „sehr schwierig“; so kehrte sie 1989 zurück nach Berlin. Im Ostbahnhof behandelte sie seit 1994 Obdachlose. „Diese Arbeit hat mich gereizt, denn da wurde ich gebraucht.“ Jahrelang versorgte sie in der von ihr gegründeten Praxis kostenlos Menschen ohne festen Wohnsitz. Für dieses Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz.

Als der Trägerverein, der die Praxis finanzierte, ihre Stelle 2003 halbieren wollte, kündigte Jenny De la Torre. Die Ärztin nahm das Preisgeld der „Goldenen Henne“, die sie 2002 verliehen bekommen hatte, und gründete damit die Jenny-De-la-Torre-Stiftung. Im gleichen Jahr wandte sie sich an Joachim Zeller (CDU), den Bürgermeister von Mitte, und bat um ein Gebäude für eine neue Obdachlosenpraxis. Zeller „rief persönlich zurück“, wie sich die Ärztin erinnert. Er schlug verschiedene Häuser vor. Sie entschied sich für das leerstehende Kitagebäude. Der Liegenschaftsfonds, der das Haus verwaltet, garantierte ihr Mietfreiheit für die nächsten zehn Jahre. Nur die Betriebskosten von vermutlich 12.000 Euro muss die Stiftung aufbringen.

Der Umbau hat rund 300.000 Euro gekostet, das meiste davon konnte durch Spenden finanziert werden. Vor allem Studierende und Rentner halfen, so De la Torre. Die großen Summen kamen von Organisationen. Ein Bauunternehmer aus Bayreuth etwa war durch einen Zeitungsartikel auf ihre Arbeit aufmerksam geworden und ließ ihr 100.000 Euro zukommen.

Wie viele Menschen sie in ihrem neuen Haus behandeln wird, kann Jenny de la Torre „noch gar nicht sagen“. Am Ostbahnhof waren es oft 30 Menschen pro Tag.

Zur Eröffnung gestern kamen zahlreiche Politiker vorbei, um De la Torre ihre Unterstützung zuzusichern. Joachim Zeller versprach, dem Gesundheitszentrum zeitweise weiteres Personal zur Verfügung zu stellen, Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) wünschte „ganz viel Erfolg“. Und Ursula von der Leyen, die Bundesministerin für Familie (CDU), ließ ausrichten, sie werde am 19. September bei der „Woche des bürgerschaftlichen Engagements“ vorbeischauen und mit anpacken.