DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Signor Prodi, übernehmen Sie!

Warum die Insel Isola del Giglio dringend eine autofreie Zone werden muss

Mein Tagesablauf hat seit Jahren eine Konstante: das Laufen. Auch in der Urlaubszeit, laufen kann man schließlich überall. Für viele Freizeitläufer scheint das jedoch ein echtes Problem zu sein. Im Frühjahr zum Beispiel sprach mich ein Läufer an, der einen Marathon vorbereiten wollte. „Ich gehe zwei Wochen Skifahren, kann ich für diese Zeit mit dem Laufen aussetzen?“ „Aussetzen?“, fragte ich unbarmherzig. „Was ist denn das?“

Daraufhin erzählte ich ihm eine Anekdote von der Weltmeisterschaft in Japan. Wir wohnten damals mitten in Tokio, und rund um das Hotel gab es nichts außer einer unvorstellbar viel befahrenen Straße. Lärm, Gestank und Blech. Um auf einer vernünftigen Runde zu laufen, mussten wir über eine Stunde U-Bahn fahren. Nach zwei Tagen entdeckten wir im Innenhof des Hotels einen kleinen japanischen Ziergarten. Dort gab es eine Rasenfläche so groß wie der 16-Meter-Raum im Berliner Olympiastadion. Trotzdem drehten alle Läufer dieser WM ab sofort in diesem Ziergarten ihre täglichen Trainingsrunden.

Die Fläche war so klein, dass es zu den Haupttrainingszeiten ab 9 Uhr 30 kaum noch Platz gab. Wollte man das Training beginnen, musste man warten, bis ein anderer Läufer aufhörte und eine Lücke in der Laufschlange entstand. Alle liefen das gleiche Tempo auf der größtmöglichen Runde. Sie war kaum länger als eine Minute.

Nach nur zwei Tagen hatte der mit dem Geodreieck ausgemessene und der Nagelschere gepflegte Rasen eine derartige Furche, dass der Gärtner des Hotels einen Nervenzusammenbruch bekam. Nun, auch diese WM war irgendwann zu Ende und es bleibt im Rückblick betrachtet der Eindruck: Die Trainingsbedingungen in Tokio waren gar nicht schlecht. Mittlerweile dürfte sich auch der Rasen des Ziergartens wieder erholt haben und wahrscheinlich ist der Gärtner schon in seinem verdienten Ruhestand.

So also kannte ich kein Pardon, schrieb dem armen Kerl das Training für die kommenden Wochen auf und schickte ihn in den Skiurlaub. Heute, nachdem ich aus meinem Urlaub zurückgekommen bin, möchte ich ihm Abbitte leisten: In meinem diesjährigen Sommerurlaub bin ich acht Tage nicht gelaufen. Jawohl, sie haben richtig gelesen: acht Tage keinen Laufschritt. Wahnsinn, oder? Unvorstellbar!

Der Grund für meine Laufpause ist allerdings erklärbar. Ich war auf der Isola del Giglio. Diese Insel ist acht Kilometer lang und vier breit. Wunderschön, wirklich, ein Traum. Doch auf dieser Insel ist alles voller Berge und Steine. Es gibt keinen ebenen Platz, keine Runde, in der es nicht steil nach oben oder nach unten gegangen wäre. Natürlich habe ich probiert zu laufen. Bin Straßen und Wegen in der Hoffnung gefolgt, hinter der nächsten Bergkuppe wird es besser, flacher und der Untergrund weicher. Ohne Erfolg. Nicht einen einzigen laufbaren Weg. Nichts. Nicht einmal einen Sportplatz habe ich gefunden.

Das heißt, natürlich gab es einen Sportplatz, aber der wird im Sommer als Parkplatz genutzt. Irgendwohin müssen wir ja schließlich unsere Autos parken, wenn wir über das Meer geschippert kommen. So gesehen gibt es nur eine Lösung für dieses Problem: die Insel muss autofrei werden. Den Läufern zuliebe. Ein dementsprechendes Gutachten werde ich natürlich umgehend bei den italienischen Behörden einreichen. Damit wäre der Sportplatz wieder frei und wir alle hätten den nötigen Raum fürs tägliche Training. Zur Not reicht ja auch der 16-Meter-Raum, nach Vorbild des japanischen Ziergartens in Tokio.

Was aus dem Ski fahrenden Freizeitläufer geworden ist? Nun, einen Tag vor dem Skiurlaub bekam er mit der Post die Nachricht, dass er in einem Kreuzworträtsel den ersten Platz gewonnen hatte. Eine Reise in die Südsee. Triumphierend lief er mit erhobenen Armen durch die Wohnung und übersah dabei seinen Kronleuchter. Das Glas zerschnitt ihm die Hand, an einen Skiurlaub war nicht mehr zu denken. Viel schlimmer allerdings: an Laufen auch nicht mehr – und das länger als acht Tage.

Fragen zum Ziergarten? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried ÖKOSEX