Geteilte Freude über grünen Puffer


AUS DUISBURG-BRUCKHAUSEN MATTHIAS HENDORF

Der Straßenfeger in seiner orangenen Arbeitskluft wirkt aus der Entfernung wie ein Farbtupfer auf den maroden, vom Kohlestaub schwarz gefärbten Fassaden. Fast scheint es, als verschluckten ihn die dunklen Frontpartien der Häuser. Hier eine fehlende Fensterscheibe, dort eine mit Holzpanelen verrammelte Haustür. Blau-gelbe Aldi-Tüten, gekräuselt und vergilbt, dienen als Gardinen. Auf dem Trottoir steht ein mintgrüner Kühlschrank mit weit aufgerissener Tür. Das ehemals weiße Stromkabel, das auf den verwitterten, nassgrauen Steinkacheln liegt, ist völlig zerfranst. Beschallt wird die trostlose Häuserkulisse von einem eindringlichen, metallenen Klang, der ganz aus der Nähe kommt.

Unmittelbar angrenzend an den Industrieriesen Thyssen Krupp Stahl (TKS) liegt im Duisburger Norden der Stadtteil Bruckhausen. Der verzeichnet rückläufige Einwohnerzahlen und einen immensen Wohnungsleerstand. „Etwa 40 Prozent der Wohnungen in Bruckhausen stehen leer“, sagt Edeltraud Klabuhn, Stadtteilmanagerin der Entwicklungsgesellschaft Duisburg in Bruckhausen. Vor knapp einem Jahrhundert lebten hier mehr als 25.000 Menschen, heute sind es gerade noch 6.400.

Zerfallene Häuser und die Nähe zu ThyssenKrupp sind verantwortlich für den Einwohnerschwund. Deshalb ist jetzt ein Grüngürtel in der Planung. Er soll Bruckhausen von den Industrieanlagen abschirmen. Edeltraud Klabuhn zeigt immer wieder in Richtung der Hochhöfen. Sie sind nur einen Steinwurf von Bruckhausen entfernt. Lediglich die breite Kaiser-Wilhelm-Straße trennt die Produktionsanlagen von den Wohngebieten.

Deutsche Minderheit

Während Edeltraud Klabuhn durch die Straßen des Stadtteils schlendert, merkt man ihr an, wie sehr sie sich den geplanten Grüngürtel wünscht. Kaum ein Haus lässt sie bei der Bewertung der Bausubstanz aus. Die drahtige Mittfünfzigerin trägt ein schwarzes Sakko und Schuhe, die dem Asphalt bei jedem Schritt einen hohlen Schall entlocken. Das kurze Haar, an einigen Stellen grau meliert, lässt sie burschikos erscheinen. Edeltraud Klabuhn ist hier wer. Alle kennen sie hier und sie kennt alle, die hier noch leben. Nahezu jeder Passant wird mit einem herzlichen Lächeln gegrüßt. Die funkelnden blauen Augen verraten den Ehrgeiz, mit dem sie den Menschen in Bruckhausen helfen will.

Viele Einwohner in Bruckhausen sind Immigranten oder haben einen Migrationshintergrund. „Wenn man den Pass zu Grunde legt, sind mindestens 51 Prozent Ausländer“, sagt Klabuhn. Doch die Zahl der Einwohner ausländischer Herkunft liege bei etwa 65 Prozent. So war und ist Bruckhausen einer der ersten Stadtteile, in denen Deutsche zur Minderheit geworden sind. Die Migranten, die hier leben, stammen überwiegend aus der Türkei. Viele gehören noch der ersten Generation von „Gastarbeitern“ aus den frühen 60er Jahren an. „Die meisten arbeiten auch heute noch bei TKS“, erzählt Edeltraud Klabuhn. Etliche Geschäfte haben Leuchtschilder mit türkischem Namenszug über der Tür. Einmal pro Woche findet in Bruckhausen ein türkischer Großmarkt statt, der die verschiedenen Nationalitäten zusammenbringt.

Auf interkulturelle Verständigung setzt auch der Kulturbunker Bruckhausen. 1941 als Luftschutzbunker erbaut, ragt der siebenstöckige, kastenförmig angelegte Bau weit über die umliegenden Häuser hinaus. Seine großen, tiefroten Backsteine lassen ihn noch gewaltiger erscheinen. An verschiedenen Stellen finden sich noch die Einschusslöcher aus den letzten Kriegstagen. Im Treppenhaus herrscht eine beklemmende Enge. Aber in den renovierten Veranstaltungs- und Büroräumen erinnern nur die schmalen Fenster an die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes.

Michael Fröhling ist hier der Manager. Er bietet Tanzkurse an, verwaltet Proberäume und ein Tonstudio. „Es ist ein Spagat zwischen Kultur- und Sozialarbeit“, weiß er um die Probleme in Bruckhausen. Wenn er so spricht, gibt er das Idealbild eines Pädagogen ab. Fröhling ist klein, jugendlich gekleidet und hat ein markantes kugelförmiges Gesicht. Bartstoppeln säumen seine Wangen und der Kopf ist nahezu ohne Haare. Bevor er anfängt zu sprechen, überlegt er lange. Jedes Wort will wohl überlegt sein, nur keine Klischees bestätigen. Was er über den Grüngürtel denke?, wiederholt er zunächst einmal die Frage. „Der Grüngürtel bietet eine Chance, Bruckhausen lebenswerter zu machen“, sagt Fröhling dann. Auch kulturell könne man das Grün für Veranstaltungen aller Art nutzen.

Noch ist der Grüngürtel nicht beschlossene Sache. Derzeit laufen Untersuchungen in ausgewiesenen Gebieten der Stadtteile Beeck, Marxloh und Bruckhausen. Geprüft werden Bevölkerungsstatistiken und Sozialdaten, die Aufschluss über die Notwendigkeit der Begrünung geben sollen. Erst im Falle eines positiven Bescheids durch den Rat der Stadt Duisburg im Laufe diesen Monats wird wohl eine detaillierte Planung des grünen Puffers ausgearbeitet. Wahrscheinlich wäre er 250 Meter breit und würde Bruckhausen weiter von den Hochöfen weg verlagern. Dafür wäre ein massiver Rückbau notwendig, viele Gebäude müssten weichen. „Immerhin ein Drittel der Häuser in Bruckhausen wird dann abgerissen“, so Stadtteilmanagerin Edeltraud Klabuhn.

„Bruckhausen ist schön“

Geht alles seinen Gang, rollen im Juni 2007 die Bagger. Immerhin zehn Jahre sollen die Bauarbeiten dauern. Finanziert wird das Mammutprojekt fast ausschließlich von ThyssenKrupp. Höchstens 25 Prozent könnten im Rahmen des Projekts Stadtumbau West vom Land getragen werden. Städtische Mittel sollen nicht in das Projekt fließen.

Manch Eingesessener fürchtet den Heilsbringer Grüngürtel und den Rückbau. Tufan Mete arbeitet seit 35 Jahren bei Thyssen. „Ich will hier nicht weg“, sagt der Familienvater. Mit der ersten Generation Gastarbeiter ist er nach Duisburg gekommen. Erst wollte er Bruckhausen verlassen, mittlerweile sagt er: „Bruckhausen ist für mich schön.“ Mehmet Yildirim hingegen, Besitzer des Restaurants „Tor 1“, hält Bruckhausen für sanierungsbedürftig. „Es muss etwas passieren“, sagt er mit ruhiger Stimme. Seine dicken, muskulösen Oberarme und das breite Kreuz lassen seine Erwerbsbiographie erahnen. 21 Jahre hat er auf der anderen Straßenseite bei Thyssen geschuftet. Heute ist Mehmet Yildirim Geschäftsführer von „Tor 1“. Die kleine Brille tänzelt während des Gesprächs auf Yildirims breitem Nasenrücken und seine Augen blicken über die Brillengläser hinweg. Seine Fingerspitzen berühren sich in kurzen Intervallen, so als wüsste er nicht, wohin mit den Händen.

Yildirims Restaurant ist das beste am Platz. Es ist sauber und gepflegt, und das ist in Bruckhausen nicht unbedingt selbstverständlich. Jeden seiner Gäste verabschiedet Mehmet Yildirim persönlich. „Tor 1 ist mittlerweile Kult geworden“, verkündet er stolz. Trotzdem will Yildirim sich dem möglichen Abriss nicht verschließen. „Man kann nicht die Sanierung verlangen und sich gleichzeitig selbst davon ausnehmen.“

Der Straßenfeger ist derweil nur noch ein winziger Punkt am Ende der Straße. Der Besen liegt untätig auf dem Bollerwagen. Kehren lohnt hier nicht mehr.