Ein Stunden-Scoop

Vorneverteidigung: Die WAZ kämpft mit Extrablatt und WDR gegen den demographischen und medialen Wandel

„Extrablatt“ riefen die blau uniformierten Werberinnen vor den Ruhrgebiets-Bahnhöfen. 200.000 Gratisseiten der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung wurden Mittwochabend unters Volk gebracht. Wer sich erschrocken fragte, ob etwa der Iran bombardiert wurde, kriegte sich schnell wieder ein: Die WAZ feierte nur ein Exklusiv-Interview mit Natascha Kampusch, dem Entführungsopfer aus Österreich. Als einzige deutsche Zeitungsjournalistin durfte WAZ-Reporterin Annika Fischer mit der Verschleppten sprechen. Die „größte Regionalzeitung Deutschlands“ sicherte sich Interview und Bilder für Deutschland.

Den „Scoop“ (Süddeutsche Zeitung) kann die WAZ gut gebrauchen. Insider sprechen von hohen Auflageverlusten. Der demographische Effekt, sprich: die Überalterung der lesefähigen Bevölkerung ist im Revier früher zu beobachten. Weil das die Abozahlen schrumpfen lässt, versucht WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach gegenzusteuern – im In- und Ausland.

So war es offenbar die Beteiligung an der österreichischen Kronen Zeitung, die der WAZ bei den Exklusivrechten für Deutschland half. Verschämt verschweigt die Ruhrgebietspostille, dass auch „Krone-Starreporterin“ (Krone) Marga Swoboda mit der 18-Jährigen sprach. Ebenso wird über die Kosten für die Rechte geschwiegen. Nur so viel: „Die WAZ wird für Wohnung und Ausbildung sorgen.“ Das reklamiert freilich auch die Krone für sich.

Mächtig stolz war die WAZ schon vor drei Wochen, als ein Projekt mit dem WDR vorgestellt wurde. Unter dem Titel „Wir in Nordrhein-Westfalen. Unsere gesammelten Werke“ präsentiert das öffentlich-rechtliche Funkhaus mit dem Verlag eine Mediathek zum 60. NRW-Geburtstag. Für die WAZ soll es der Einstieg ins Geschäft mit Büchern und DVD werden. Für den WDR ist es eine Gelegenheit, alte Schätzchen wieder aufzulegen. Die Freundschaft zwischen „Wir in NRW“-Erfinder Hombach und Intendant Fritz Pleitgen wird bei diesem Public-Private-Partnership geholfen haben, wenn auch beide Seiten betonen, es könnten noch andere Verleger einsteigen.

Dass es nicht immer so lohnend ist, auf Fernsehwelten zu treffen, musste die WAZ bereits am Mittwoch Abend erleben: Zeitungsscoops ist nur eine kurze Aufmerksamkeit vergönnt. Ab 21 Uhr verfolgten sieben Millionen RTL-Zuseher das Fernsehinterview mit Natscha Kampusch.CHRISTOPH SCHURIAN