„Wir werden eine Einheitsregierung bilden“

Nach dem 11. September haben die USA die Palästinenser aufgegeben, sagt der Hamas-Abgeordnete Aiman Daragmeh. Zwangsläufig habe man sich daraufhin seine Verbündeten bei der Hisbollah, in Damaskus und in Teheran gesucht

taz: Herr Daragmeh, welche Folgen hat der 11. September 2001 im Nahen Osten gehabt?

Aiman Daragmeh: Der Angriff vom 11. September 2001 – den wir wie jeden Terroranschlag verurteilen – hatte großen Einfluss auf die gesamte Welt, nicht nur den Nahen Osten. Seitdem treten die USA noch unilateraler, noch aggressiver auf als je zuvor. Sie kümmern sich nur noch um ihre eigenen Interessen.

Wie hat sich das auf die Palästinensergebiete ausgewirkt?

Gleich nach dem 11. 9. haben die USA und ihre Alliierten den Krieg, den sie vorbereiteten, unter das Motto gestellt: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Diese Haltung stand auch hinter der Roadmap: Dieser Fahrplan für einen Frieden im Nahen Osten lässt die fundamentalsten Rechte der Palästinenser unerwähnt, etwa die Frage des Rückkehrrechts der Flüchtlinge oder die Entlassung palästinensischer Gefangener aus israelischer Haft.

Trotzdem hat Palästinenserpräsident Abbas die Roadmap unterzeichnet.

Aber die USA boykottieren die Hamas, die bei demokratischen Wahlen über 65 Prozent der Stimmen gewann. Die Hamas wurde auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt, und nicht nur wir: Alle arabischen Nationalbewegungen, auch im Irak und im Libanon, bekamen diesen Titel verpasst. Menschenrechte und Demokratie spielen für die USA nur so lange eine Rolle, wie sie mit ihren Interessen vereinbar sind.

Kurz nach den Anschlägen bekundeten viele Palästinenser ihre Sympathie mit Ussama Bin Laden. Woher rührte das?

Die Palästinenser standen damit nicht allein: Auch im Fernen Osten, in Lateinamerika, in Russland oder China gab es Sympathien für Bin Laden. Der Grund ist die US-amerikanische Außenpolitik, die die Bedürfnisse und die Freiheit anderer Völker mit Füßen tritt. Die Palästinenser sind kein blutrünstiges Volk. Aber wir sind ein Volk, das unter der zionistischen Besatzung leidet.

Die Hamas versteht sich als rein nationale Befreiungsbewegung und hat sich immer von al-Qaida distanziert. Aber läuft sie durch ihre Kontakte zur Hisbollah und Teheran nicht Gefahr, als Teil einer gemeinsamen Front gesehen zu werden?

Seit 13 Jahren versuchen die Palästinenser durch Dialog ihre Rechte durchzusetzen, doch wir sind keinen Schritt weitergekommen. Wir haben ganz einfach kein Vertrauen mehr in leere Versprechen. Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Palästinenser den Widerstand der Hamas gewählt haben. Die Hamas teilt ähnliche Interessen wie die Hisbollah im Libanon: Sie hat dieselbe Vision, dieselbe Strategie und denselben Feind. Auch mit Iran haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden, als wir gemerkt haben, dass sich die Regierung in Teheran anders verhält als alle anderen, indem sie sich weigert, nach der Pfeife der USA zu tanzen.

Ist es nicht seltsam, dass sich die Hamas den Anweisungen ihres Chefs, Chaled Meschal, fügt, der in Damaskus lebt?

Widerstandsbewegungen haben immer Kontakte ins Ausland. Die Fatah hat das ähnlich gehandhabt, als Jassir Arafat und die gesamte PLO-Führung erst in Beirut und später in Tunis saßen. Alle Nationalbewegungen müssen über politische Führer im Ausland verfügen für den Fall, dass die lokale Führung verhaftet wird. Damaskus hat seine Türen für den palästinensischen Widerstand geöffnet. Wie in Teheran stoßen wir hier auf Sympathien für die palästinensische Sache.

Zwar hat sich Premierminister Ismail Hanijeh gegen die Gewalt ausgesprochen, trotzdem fliegen weiter Kassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen nach Israel. Ist es so schwierig, eine einheitliche Linie zu finden?

Meinungsunterschiede gibt es überall – selbst unter Geschwistern, die im selben Haus aufgewachsen sind. Bei uns gibt es eben die strategischen Nationalisten und die, die den militärischen Widerstand als das richtige Mittel sehen. Doch alle verfolgen dasselbe Ziel: das Ende der Besatzung und ein Leben in Frieden.

Solange wir diesem Ziel nicht näher gekommen sind, nehmen die Leute die Dinge in die eigene Hand. Sie sind bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, indem sie Gefängnishaft und ihr eigenes Leben riskieren.

Derzeit gibt es Verhandlungen mit dem Ziel, eine nationale Einheitsregierung zwischen Fatah und Hamas zu bilden. Wie stehen die Chancen?

Eine Einheitsregierung ist das Ziel aller Fraktionen. Auf der Basis des so genannten Gefangenendokumentes [einem Kompromisspapier, das von palästinensischen Gefangenen aller Parteien in israelischer Haft entworfen wurde, d. Red.] finden derzeit Verhandlungen statt. In den meisten Punkten sind sich Hamas-Premier Ismail Hanijeh und Präsident Abbas bereits einig geworden. In zwei Wochen schon könnte es zu einer Regierungsbildung kommen. Ich hege keinen Zweifel daran, dass es dazu kommen wird.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL