WAS DENKEN SIE GERADE . . .
: Roger Willemsen?

Roger Willemsen, 55, ist Publizist. Im Moment des Interviews sieht er aus dem Fenster seines Aachener Hotels „Proletarier in Tchibo-Fahrradmonturen durch den Park flanieren“ – sie sind „selbst im Gehen mit Helmen bewaffnet“.

Gedanken mache ich mir im Augenblick über den Volkszorn. Denn mir kommt der Volkszorn vor wie eine Ehefrau, die mit dem Nudelholz hinter der Tür lauert. Etwas, das dazu neigt, sich in der Reinigung der Affekte zu gefallen.

Ich wundere mich darüber, wie im Moment von Anlässen Besitz ergriffen wird, die ich gar nicht als reale Not der Bevölkerung sehen würde. Plötzlich erkennt irgendein Kollektiv im Integrationsgedanken oder in einem Bahnhofsbau etwas, das vom Teufel ist. Und dahinter verschwindet alles, was real bedrohend ist. Alle in wirklich massiver Weise globalen Angelegenheiten – Klimaveränderung, das Verschwinden von Lebensraum – lösen keine größere Wallung mehr aus.

Stattdessen sind es partikulare, persönliche oder auch lokale Interessen, die ein Maximum an Erregung mit sich bringen und in denen sich auch ein eigener Sog einstellt, sodass das Gefühl sich hochrüstet, martialisch wird, um sich schlägt, fast affektartig ist.

Was mich persönlich davon auf dem E-Mail-Wege erreicht, ist auf unvorhergesehene und nicht gesehene Weise brachial, bereit, Gewalt auszuüben – zunächst rhetorisch. Bei manchen Positionen, die ich öffentlich äußere, habe ich das Gefühl: Wenn ich nicht mindestens eine Morddrohung erhalte, habe ich einen Fehler gemacht. Foto: WDR