Eine Eins im Durchhalten

Vor zehn Jahren wurde die freie Schule Prinzhöfte gegründet, jetzt wurde der erste Abschluss- jahrgang verabschiedet. Dessen Notenschnitt widerlegt das Gerücht, Prinzhöfte-Kids lernten nichts

aus Bassum Eiken Bruhn

„Wir lieben euch und wünschen euch auf eurem weiteren Lebensweg alles Gute“, rufen 13 Teenager an einem lauen Juliabend ihren LehrerInnen zu, bevor sie von einer Freiluft-Bühne springen, um sich zu feiern. Dazu haben sie allen Grund. Sie sind der erste Jahrgang, der die vor zehn Jahren im Bremer Umland gegründete Schule Prinzhöfte mit einem Abschluss in der Tasche verlässt. Jahrelang mussten sie und ihre Eltern sich anhören, dass sie auf einer staatlichen Schule mehr lernen würden als auf einer privaten Alternativschule. „Mandalas auf dem Lehrplan“ hatte auch die taz einmal getitelt. Eltern hatten sich über LehrerInnen beklagt, die ihrer Ansicht nach Kindern nichts Gescheites beibringen konnten.

Doch obwohl die Prinzhöfte-Kids tun und lassen können, was sie wollen – was dazu führt, dass die meisten „erst mal lieber Deutsch machen als Mathe“, wie eine Schülerin erzählt – lernen sie dabei genug, um eine externe Prüfung zu bestehen. Sogar mit Bravour: Die Ergebnisse der Prüflinge waren so gut, dass elf von ihnen jetzt auf das Gymnasium gehen können – wenn sie denn wollen. Der Durchschnitt von 1,96 hat auch den Vorsitzenden der Kommission beeindruckt, die im Auftrag der Schulbehörde die Zehntklässler geprüft hat. „Sie können stolz auf sich sein, ihr pädagogisches Konzept ist hundertprozentig erfolgreich gewesen“, sagt Bruno Ehrlich, selbst Leiter einer staatlichen Schule.

Damit reibt er Balsam auf die Seelen von allen, die an Prinzhöfte geglaubt haben. Etwa auf die von Kerstin Friedrich, Vorsitzende des Schulvereins, die eigene Zweifel einräumt. „Wir haben auch oft nicht gewusst, wie das hier zu Ende geht“, sagt sie in ihrer Rede. Friedrich hatte sich fest vorgenommen nicht zu weinen, doch der Vorsatz ist hin, als sie den Gründer und ersten Leiter der Schule begrüßt, der aus gesundheitlichen Gründen aufhörte. Mit hinter dem Rücken gefalteten Händen steht er inmitten der Feiernden und wirkt dennoch etwas verloren, die wenigsten kennen ihn noch. Damals hatte die Schule neun Schulkinder, jetzt sind es 110. „Du hast oft bereut, was du geschaffen hat“, sagt Friedrich zu ihm und braucht das erste vorsorglich eingesteckte Taschentuch. Der Kampf mit den Schulbehörden, unzufriedene Eltern, interne Streitereien – welchen Druck die Schule aushalten musste, lässt sich an ihrer emotionalen Rede ablesen. „Erst in 50 oder 100 Jahren wird man ermessen können, was für ein gigantischer pädagogischer Wurf das war“, prophezeit sie.

Sabrina Ernst hingegen weiß jetzt schon, was sie an Prinzhöfte hatte. Sie ist eine der wenigen aus dem Jahrgang, die von der ersten Klasse an dabei waren. „Sonderschüler“, hätten andere oft über sie und ihre Mitschüler gesagt, erzählt die 17-Jährige, die erst im letzten Schuljahr in Englisch und Mathe auf einen grünen Zweig kam. So schlecht seien ihre Leistungen gewesen, dass sie sich beim besten Willen nicht zugetraut hatte, einen Abschluss von 2,1 hinzulegen, mit dem sie auch aufs Gymnasium gehen könnte. Weder sie noch ihre Lehrer können erklären, wie es zu dem Wandel kam. Vielleicht war es die Reise nach England, vielleicht die bevorstehenden Prüfungen. Oder so: „Das gab einen unglaublichen Kick, es allen zu zeigen“, sagt sie. Auch sie hat vorhin geweint, nach der sehr persönlichen Ansprache von Schulleiter Lutz Wendeler. Zu jedem „seiner Tiere“, wie er sie nennt, hat er etwas gesagt, was die Gruppe ihnen verdankt. Das ist typisch Prinzhöfte: Wer hier zur Schule geht, lernt in erster Linie seine Stärken kennen und nicht, wo er oder sie versagt. Mit Schönfärberei hat das dennoch nichts zu tun, wie die Rede von Wendeler zeigt. Er spricht auch über Probleme, über Antipathien zwischen ihm und Schülern. Was Sabrina genau passiert ist, plaudert er nicht aus, nur, dass sie zu einer Meinung gestanden hat, mit der sie es sich mit Freunden verscherzte. „Von dir habe ich gelernt mutig zu sein.“

Er könnte ihr auch noch zu ihrem sicheren und artikulierten Auftreten gratulieren, aber damit fällt in Prinzhöfte niemand auf. Vor anderen zu reden, gelerntes Wissen für andere zusammenzufassen, gehört zu den Aufgaben, die die Kinder von Anfang an üben. So ist es für Neunjährige eine leichte Aufgabe, eine Fremde durch die Schule zu führen und ihr das Grundkonzept des selbstverantwortlichen Lernens zu erklären. So entscheiden die Schüler und Schülerinnen selbst darüber, wann sie was lernen wollen. Und in welcher Form. Das führt dann auch mal dazu, dass ein Lehrer per Abstimmung dazu verdonnert wird, Frontalunterricht zu machen – auch wenn er den Stoff lieber in Projektarbeit entwickelt hätte.

Wie sehr Prinzhöfte zur Selbstverantwortung erzieht, zeigt das Beispiel einer Elfjährigen, die nach der vierten Klasse entschieden hat, dass sie auf’s Gymnasium will, weil sie glaubt, dort mehr lernen zu können. „Wir hätten sie lieber hier behalten“, sagt ihr Vater, „aber sie will einen festen Stundenplan.“

Jubiläumsfeier mit Informationen über die Schule und ihr pädagogisches Konzept: 10. September, ab 14 Uhr