Großer Bahnhof für Scientology

Vor dem Hauptbahnhof wirbt die umstrittene Scientology-Organisation für ihre Ziele. Das Bezirksamt Mitte sieht dagegen keine juristische Handhabe. Kinderkanal protestiert mit kleinem Erfolg

Von MARLENE WOLF

Seit Ende August steht vor dem Hauptbahnhof ein großes, gelbes Zelt der Scientology-Organisation. Davor laufen mehrere Menschen in gelben Westen auf und ab und sprechen Passanten an. „Volunteer Minister“, ehrenamtliche Geistliche, steht auf ihren Rücken – und in ihren Faltblättern fordern sie auf, sich für die Menschenrechte einzusetzen. Das Zelt und die Mitarbeiter gehören zur Scientology-Organisation.

Bereits in New York habe man schon gestanden, sagt eine Sprecherin der Organisation, die nicht namentlich genannt werden möchte. Man wolle nun auch in Berlin informieren. Mit den Mitarbeitern dürften Pressevertreter aber nicht sprechen.

Die Scientology-Organisation ist seit 1970 in Deutschland aktiv und aufgrund ihrer Methoden häufig in die Kritik geraten. In Bayern solle sie künftig stärker vom Verfassungsschutz beobachtet werden, kündigte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) im August an.

Bereits im Juni hatte Scientology auf dem Alexanderplatz mit Informationsständen für sich geworben. Das Bezirksamt Mitte wollte dies zuerst verhindern und untersagte die „Sondernutzung des öffentlichen Straßenlands“ mit der Begründung, der Denkmalschutz und die Verkehrssicherheit seien nicht gewährleistet. Dies lehnte das Verwaltungsgericht ab und erlaubte die Stände. Als Scientology jetzt den Antrag stellte, sein Zelt vor dem Hauptbahnhof aufzuschlagen, gab es vom Bezirksamt keinen Widerstand mehr. Man gehe davon aus, dass sich die Position des Gerichts nicht verändert hat, sagte gestern Karin Rietz, die Sprecherin des Amts.

Auf den Pollern vor dem Zelt haben sich einige Passanten niedergelassen – mit dem Rücken zu den Scientologen. Ein älteres Ehepaar allerdings beobachtet das Treiben von weitem. Ein chinesisches Restaurant könnte hier für sich werben, vermutet der Mann. Kaum jemand bleibt stehen – trotz aller „Hi, come here!“-Rufe.

Eine Gefahr gehe von solchen Aktionen nicht aus, sagte Anne Rühle, die Büroleiterin von Schulsenator Klaus Böger (SPD) und ehemalige Sektenbeauftragte des Landes Berlin: „Scientology war noch nie stark in Berlin und ist es auch heute nicht.“ Die Berliner seien „selbstbewusst und informieren sich“, deswegen finde die Organisation hier kaum Anklang, sagte Rühle.

Auch Michael Utsch, Weltanschauungsexperte der evangelischen Kirche, warnte vor Panikmache. Viele Deutsche seien sehr aufgeklärt und hätten manchmal zu viel Angst vor Scientologen. Ein Gespräch mit den oft „sehr freundlich und netten“ Mitarbeitern führe aber nicht gleich zu Gehirnwäsche oder einer Mitgliedschaft in der Organisation.

Der Verein sei eher in wirtschaftlich starken Städten wie Frankfurt oder München aktiv. Erst in den letzten Jahren sei Berlin als politisches Zentrum für Scientology wieder interessant geworden, sagte Utsch. Die ehrenamtlichen Geistlichen würden häufig eingesetzt und viele Aktionen seien nicht immer auf den ersten Blick als Scientology-Initiative zu erkennen gewesen. Den Berlinern riet Utsch, einfach auf Scientology-Indizien zu achten.

Bis zum 19. September will Scientology die Kampagne fortführen. Nur am Sonntag wird das Zelt abgebaut. Am Weltkindertag will der Kinderkanal (Kika) auf dem Platz ein „Sommerfest“ feiern. Der Kindersender hatte gedroht, die Veranstaltung abzusagen, wenn Scientology weiterhin dort stehe. Nach Vermittlung des Bezirksamts Mitte erklärte sich die Organisation bereit, ihre Aktion für einen Tag zu unterbrechen.