: Der Winzerkönig von Rust
Schöne Landschaften, bislang Geheimtipps, werden für TV-Serien entdeckt. Sie bedienen den Traum vom gepflegten Landleben in überschaubaren Zusammenhängen, und vor allem: Drehorte ziehen Touristen magnetisch an
VON STEFAN SCHOMANN
Das Mädchen, ganz aus dem Häuschen: „Mutti – überall Störche!“ An die vierzig Adebare bevölkern die Dächer des Winzerstädtchens Rust am Neusiedler See. Einige kreisen wie ein Mobile in der Thermik, ihre Schatten wischen über den zum See hin abfallenden Marktplatz mit seinen barocken Bürgerhäusern, den Buschenschanken in den Hofgassen.
Bisher war Rust mit seinen 1.700 Bewohnern als „Storchenstadt“ geläufig. Seit ein paar Wochen jedoch führt Rust einen neuen Titel: „Die Stadt des Winzerkönigs“. Eine von der ARD und dem ORF produzierte Fernsehserie mit Harald Krassnitzer in der Titelrolle verändert die Geschicke des Ortes: Ein weltgewandter Manager, laut Pressetext „auf der Suche nach sich selbst“, erbt unerwartet das väterliche Weingut im Burgenland. Vorerst dreizehn Folgen lang muss er sich dort mit „Wein, Weib und Intrigen“ herumschlagen sowie mit „Barrique, Bouquet und Bortrytis“ befassen. Letzteres übrigens der Schimmelpilz, der dem „Ruster Ausbruch“ und anderen Dessertweinen des Burgenlands die opulente Süße gibt.
Zuvor hatte der Ort erst einmal einen Ruster Einbruch zu überstehen: Über rund hundert Drehtage hinweg wurde er vom Fernsehen in Beschlag genommen. Der Bürgermeister musste das Rathaus räumen und alle Telefone abstellen. Mehrere Winzer stellten ihre Keller um, etliche Parkplätze wurden gesperrt und Schilder ausgewechselt, sodass manche Gäste in die Irre liefen.
Tourismus- und Unterhaltungsindustrie gehen immer häufiger Hand in Hand. Das Fernsehen braucht Lokalkolorit, aparte Milieus, Landschaften mit hohem Wiedererkennungswert. Ein Bayer auf Rügen macht mehr her als ein Hesse in Hannover, ein Bulle in Tölz bringt höhere Quoten als einer in Leverkusen. Umgekehrt brauchen die Regionen Reklame. Und gäbe es eine wirksamere Gehirnwäsche als eine Fernsehserie? Woche für Woche bläut sie den Zuschauern ein, wie schön es doch im Schwarzwald oder auf Mallorca ist. Die Identifikation mit den Helden zieht die Identifikation mit der Landschaft nach sich.
Bestes Beispiel bildet die Gemeinde Retz im niederösterreichischen Weinviertel. Mit ihren Kellergassen und ihren idyllischen Weinbergen war sie ein Geheimtipp. Dann kam „Julia – eine ungewöhnliche Frau“, und binnen weniger Jahre haben sich die Übernachtungszahlen verzehnfacht. Massiver TV-Tourismus setzte ein, alle wollen auf Julias Spuren wandeln. Retz wurde von einem ungeheuren Aufschwung erfasst. Das neue Info-Zentrum, das neue Museum, das neue Erlebnisbad, das alles gäbe es nicht ohne Julia.
Als Archetypus der Heimatserie fungierte Mitte der Achtzigerjahre die „Schwarzwaldklinik“. Sie brachte das Glottertal auf die Weltkarte: 550 Millionen Menschen in 38 Ländern sahen die Herz-Schmerz-Serie. Bis heute reißt die Karawane von Reisebussen nicht ab, auf der Suche nach Dr. Brinkmann. Überhaupt hat der Schwarzwald sich als Quotenbringer bewährt: nach den „Fallers“ (500 Folgen!) gab es auch noch das „Schwarzwaldhaus“ mit nachgespieltem Landleben von anno 1902.
Kein Wunder, dass Länder und Kommunen mittlerweile um TV-Serien buhlen. In Österreich geht die Wirtschaftsförderung dabei weit konsequenter, um nicht zu sagen ungenierter zu Werke als in Deutschland. Wohl auch, weil man über mehr Erfahrungen verfügt, vom „Schloss am Wörthersee“ über die „Donauprinzessin“ in der Wachau bis zum „Bergdoktor“ in Tirol. Film- und Fernsehteams werden mit Fördergeldern geködert, die Tourismusverbände als kostenlose Locationbüros eingespannt.
Der „Winzerkönig“ spielt als erste Serie im Burgenland. Die wichtigsten Drehorte werden derzeit mit einer schwarzweißen Filmklappe beschildert: der steinerne Picknicktisch im fröhlichen Weinberg, das Plattner’sche Bootshaus, die Abfüllanlagen des arglistigen Schwagers, die Freilichtbühne im Steinbruch. „Fühlen Sie sich wie der Winzerkönig“, lockt Mooslechners Bürgerhaus, während der Rusterhof sich als „Hauptdrehort der Fernsehserie“ präsentiert. Was spielt es schon für eine Rol- le, dass sämtliche Innenaufnahmen in einem ausgedienten Wirtshaus gedreht wurden, weil der Rusterhof nicht abgenutzt genug erschien und ja auch schlecht drei Monate schließen konnte?
Die Wirklichkeit kann es dem Fernsehen ohnehin nie Recht machen. Für „Hallo Robbie“ etwa wurde eine Seehundstation kurzerhand von der Nord- in die Ostsee verlegt, obwohl es dort, zumindest an den deutschen Gestaden, keine Seehunde gibt. Egal – wir drehen auf Rügen.
Wie aber kommt ein Dorf, eine Region überhaupt ins Fernsehen? Im Fall des Winzerkönigs brachte ein einzelner Mann den Stein ins Rollen: Hans Feiler vom Weingut Feiler-Artinger, einer der renommiertesten Winzer Österreichs. Inspiriert von „Julia“ und dem „Bergdoktor“, fragte er sich beim ORF zum Seriendramaturgen durch. Für gewöhnlich werden solche Anfragen höflich abgespeist, besten Dank, wir melden uns bei Bedarf. Doch der Dramaturg kam tatsächlich nach Rust, Drehbuchautor und Hauptdarsteller kamen auch nach Rust, dazu einige Herren von der ARD. Sie inspizierten entlegene Schilfhütten ebenso wie die chromblitzenden Neubauten der Erfolgswinzer, sie schritten die Reben ab und segelten auf den See hinaus. Sie verkosteten gleichsam die Landschaft und natürlich Feilers erlesene Weine, den Welschriesling, die hochdekorierten Cuvées und den Ruster Ausbruch. Sie waren bald überzeugt.
Mit all diesen Serien geht eine Aufwertung der Provinz einher – Heimatfernsehen im Zeitalter der Globalisierung. Indem sie den Traum vom gepflegten Landleben bedienen, von einer selbstbestimmten Existenz in überschaubaren Zusammenhängen, treffen sie einen Nerv der Zeit: die Sehnsucht der Entwurzelten nach Zugehörigkeit. „Irgendwann“, heißt es vom Winzerkönig, „kann er seine bodenständigen Ideale nicht länger verleugnen“. Irgendwann will jeder nach Rust oder ins Hotel Paradies oder dorthin, wo ungewöhnliche Frauen herkommen.
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