Eine Marktwirtschaft der besonderen Art

KUBA Die Privatisierung soll eine neue und dauerhafte Säule des Sozialismus auf der Zuckerrohrinsel werden. Selbstständige dürfen zukünftig in 178 Berufen arbeiten und dabei sogar Angestellte beschäftigen

AUS TEGUCIGALPA TONI KEPPELER

Eine Million Kubaner will der sozialistische Staat „freisetzen“, die Hälfte davon im März kommenden Jahres. Das hat Staatschef Raúl Castro bereits vor Wochen angekündigt. Seit Freitag wissen die nun, was sie stattdessen tun dürfen. Granma, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei (KP), veröffentlichte eine Liste mit 178 Tätigkeiten, die Kubaner selbstständig und auf eigene Rechnung ausüben dürfen. 29 davon waren bislang schon erlaubt. Die meisten anderen Berufe wurden längst illegal in der Schattenwirtschaft ausgeübt.

Die Massenentlassungen sind ein Befreiungsschlag des sozialistischen Staats am Rande des Bankrotts. Die Landwirtschaft der Insel liegt am Boden. Weit über die Hälfte der Lebensmittel muss importiert werden, die letzte Zuckerrohrernte war die schlechteste seit der Revolution von 1959. Der Tourismus als wichtigste Devisenquelle stagniert, weil die karibischen Nachbarinseln bessere und billigere Angebote an Pauschalurlauber machen. Hartes Geld ist im Kuba inzwischen so knapp, dass der Staat nicht einmal mehr die mickrigen Löhne von in der Regel unter 20 Euro im Monat bezahlen kann. Die Arbeitsmoral der Kubaner hat sich längst der Bezahlung angepasst.

Damit soll jetzt Schluss sein. In einem internen Papier der KP wird Raúl Castro mit den Worten zitiert, Kuba dürfe nicht mehr „das einzige Land auf der Welt sein, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten“. Die staatliche Wirtschaft soll gestrafft und effektiv gemacht werden, die Entlassenen sollen sich als Selbstständige durchschlagen. Erfolgreichen unter ihnen wird sogar erlaubt, andere einzustellen. Das war bislang als kapitalistische Ausbeutung verpönt.

Derzeit sind in Kuba nur 144.000 Selbstständige registriert und die waren vom Staat nicht gerne gesehen. Jetzt aber wolle man „abrücken von Konzepten, die Selbstständigkeit verurteilen“, schreibt Granma. Der private Sektor soll zu einer neuen Säule der sozialistischen Volkswirtschaft werden. Kubaner dürfen in Zukunft etwa als Schreiner arbeiten, als Computerreparateur oder Musiklehrer. Sie dürfen sich als Clowns verdingen, Touristen übers Meer schippern oder öffentliche Toiletten bewachen. Selbstständige können zur Ausübung ihrer Tätigkeit Räumlichkeiten anmieten, Hausbesitzer dürfen nicht mehr nur einzelne Zimmer, sondern ganze Häuser privat vermieten. Private Restaurants, die bislang auf 12 Plätze beschränkt waren, können bis zu 20 Kunden auf einmal bedienen und ihnen – was bisher verboten war – auch Fleisch und Meeresfrüchte anbieten.

Einige Berufe sind von der Liberalisierung ausgeschlossen. Flaschner zum Beispiel und Seifenhersteller. Die Begründung: Der Staat könne die nötigen Rohstoffe nicht zur Verfügung stellen. Direktimporte von Selbstständigen bleiben verboten. Immerhin aber denke die Zentralbank über Kleinkredite für Existenzgründer nach.

Die neuen Selbstständigen sollen nicht nur für ein besseres Waren- und Dienstleistungsangebot sorgen. Sie sollen auch die Staatskasse mit Steuergeldern füllen. Vorgesehen sind eine Umsatzsteuer, eine Einkommensteuer und eine Steuer für abhängig Beschäftigte. Die Höhe dieser Abgaben ist noch nicht bekannt. Auch private Kooperativen regt die KP an. Einziges Beispiel dafür sind bislang die staatlichen Friseursalons, die im Frühjahr von den Beschäftigten übernommen wurden.