Hinein ins Offene, Freunde!

Endlich wieder fantastisch wahnwitziger Spaceopernpop: Am Freitag hatte die zweite Staffel der Opernsaga „Kommander Kobayashi“ in den Sophiensælen Premiere – und fand in ihrer zweiten Hälfte zur Anbetungswürdigkeit der Pilotfolgen zurück

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Das Universum schlägt zurück. Skrupellos überträgt es Veränderungswellen, die von Moskau aus das All durchrütteln. Die Hermenauten sehen verzweifelt alle Gewissheiten explodieren und schicken ihren Kommander los, um wieder Ordnung zu bringen in den üblen Hort der Kontingenz. Der Kommander in Moskau aber staunt nur und überlässt das regelnde Durchgreifen gern einem in höchsten Countertenortönen tirilierenden Discoparty-Freak. Später kommt es noch dicker: Den so dringlich nach Ziel und Sinn und Halt suchenden Hermenauten kommt ihre Libido in die Quere. Eine akustische Droge setzt sie frei – und plötzlich können die Raumfahrer nicht anders, als ihr heimlichstes Begehren auszuleben: Sie erfinden neue Wirtschaftssysteme, die die Erde zu einem besseren Platz machen, werden sexsüchtig. Der Steuermann gibt erleichtert singseufzend alle Verantwortung ab, und das nichtmenschliche Puzzletier an Bord will alles und jeden an- und ausschalten, via Fernbedienung. On/off. Am Ende bedeutet das für das ganze böse Universum: Off.

Hä? Willkommen zurück in der schwerelos monumentalen, sinnlos bedeutsamen und zielgerichtet willkürlichen Welt von „Kommander Kobayashi“! Nach anderthalb Jahren Kobayashi-Pause heißt es in den Sophiensælen endlich: Start von Staffel 2 der Opernsaga. In einer „Pilotfolge“ waren im Januar 2005 die vier raumfahrenden Hermenauten (sämtlichst brillant: Hanna Dóra Sturludóttir, Daniel Henriks, Sibylle Fischer, Eiko Morikawa), eingeführt worden, die sich mit ihrem Kommander (being himself: Soichi Kobayashi) auf einer „rätselhaften Suche oder Flucht durch Raum und Zeit“ befinden. Was außerdem bereits geschah: Kommander Kobayashi sang unter Sternen, verlor dabei sein Zentrum und wurde zu einem unentscheidbaren Kosmos. Die Hermenauten fanden das Missing Link ihrer großen Mission in Form einer kleinen Plüschkuh, und das Orchester streichelte Kuscheltiere.

Alles das war ganz zauberhaft gewesen: Jede Pilotfolge und beide Teile von Staffel 1 geschrieben von einem anderen Komponisten, neue Opernmusik, richtig spannend. Ein wildwuchernder Plot, reizend überkomplexe Charaktere, die Texte im Booklet liebevoll und aberwitzig. Spaceopernpop, entstanden in einem Philosophieseminar über Postmoderne und Sciencefiction, dabei aber ohne High-Brow-Gedöns. Und ein Ensemble, das sang und spielte, als gäbe es kein Morgen. Ganz große Sache also.

Jetzt hat die freie Opernkompagnie Novoflot unter der Regie von Sven Holm also Staffel 2 mit zwei Teilen auf die Beine gestellt: „Die Zerstörung von Moskau“ (Komposition: Sergej Newski) und „Scream You“ (Komposition: Aleksandra Gryka). Ersteres enttäuschte. Der Plot zu schnell entwickelt, die Inszenierung zu illustrativ konkretistisch: Beklagen die Hermenauten die aus Moskau herrührenden inkommensurablen Veränderungsschübe, flickern über die Videoleinwand Bilder vom heutigen Moskau – Werbeplakate mit Models, Einkaufspassagen, dicke Limousinen. Steht im Libretto etwas von Intimitätsrausch zwischen Hermenaut und Gestaltwandlerin, liegen die beiden am Boden und trinken Wodka. Der Ort, an dem Kontrollfreak Pawlowitsch an der totalen Überwachung arbeitet, heißt allzu eindeutig „Club Mausoleum“.

Der zweite Teil aber riss alles wieder raus, hinaus ins fantastisch Offene. Die Darsteller hatten wieder Raum für ihre Sing- und Spielfreude. Die Hermenauten waren wieder maximal differente und deswegen beständig aneinanderrasselnde Subjekte, mit einer Musik im Rücken, die ihnen mit Witz zuarbeitete, statt ihnen eine Partitur zum Abarbeiten aufzubürden. Und der von alldem immer herrlich unbeeindruckte Kommander Kobayashi selbst? Fand Gefallen an polnischen Heimatliedern. Was für eine tolle Art, Oper zu machen. Zum Glück ist Staffel 3 schon in der Mache, weil: Seriensuchtgefahr.

Weitere Vorstellungen: 15.–17.9., jeweils 20 Uhr, Sophiensæle, Festsaal